„Stahlhelm-Meuterei“ der Schutzpolizei in Chemnitz“

Zeitungsmeldungen vom 27.-29.08.1921

Berichtet wird über „Unstimmigkeiten in der Chemnitzer Schutzpolizei.“

Hier eine Zusammenfassung der verschiedenen Berichte:

So berichtete die „Allgemeine Zeitung“ aus Chemnitz, das bei einer Hundertschaft der Chemnitzer Landespolizei eine Meuterei ausgebrochen sei.  Als am 25. August von der Hundertschaft verlangt wurde, zu einer größeren Übung außerhalb der Stadt den Stahlhelm aufzusetzen, seien die Beamten zu einem großen Teil mit dem Tschako angetreten. Vorher hätten einige Beamte die Aufhebung des Stahlhelm-Gebots beantragt. Der sächsische SPD-Ministerpräsident Wilhelm Buck habe die sofortige Entlassung der Beamten verfügt. Anschließend wurde über die Wiedereinstellung der Entlassenen verhandelt.

Der „Vorwärts“ bewertet den Vorgang als aus politischen Gründen stark aufgebauscht. Ein rechtsstehendes Blatt habe den „sensationellen“ Vorgang in die Öffentlichkeit gebracht.

Erst später sei über die Beweggründe der Schupo-Hundertschaft „Zur besonderen Verwendung“ berichtet worden. Demnach hätten die Beamten in der jetzigen angespannten Situation aus der Erkenntnis, dass die Stahlhelme provozierend auf weite Teile der Arbeiterschaft wirken, nicht zu diesem Auftreten nach außen gezwungen werden wollen. Die Chemnitzer Polizeibeamtenschaft habe sich dazu in einer Versammlung fast einstimmig mit der von der Maßregelung bedachten Hundertschaft solidarisch erklärt.  Der „Vorwärts“ tat das auch.

In einer amtlichen Auslassung des Chemnitzer Landes-Polizeikommandos wurde in scharfer Weise der Mangel an Pflichtgefühl sowie der Mangel an gewerkschaftlicher Schulung kritisiert. Demnach habe die Beamtenschaft durch ihre gewählte Vertretung das Recht, gegen interne Vorschriften Einspruch zu erheben. Sie könne aber keineswegs zur Kritik irgendwelcher bereits gegebenen Befehle zugelassen werden.

Der Stahlhelm soll bei der gesamten Beamtenschaft unbeliebt sein, weil er nach dessen Ansicht auf die Bevölkerung aufreizend wirke. Die Beamtenschaft habe nach eingehende Aussprache  über die Angelegenheit mit großer Mehrheit eine Entschließung angenommen, in der es heißt: „Das Ausrücken der Beamtenschaft im Stahlhelm zu Uebungen wird von der Beamtenschaft von jeher als Provozieren der Bevölkerung empfunden, deren Folgen die Beamtenschaft nur selbst zu tragen hat. Die gespannte wirtschaftliche Lage, die drohenden Kämpfe zwischen Unternehmertum und Arbeiterschaft lassen es gerade gegenwärtig zweckmäßig erscheinen, jede unnütze Provozierung der Oeffentlichkeit zu vermeiden.“ Die in Aussicht gestellte Entlassung der Beamten wurde als ungerechtfertigte Maßregelung abgelehnt. Der Verband beauftragt, sich mit Nachdruck bei der Regierung einzusetzen.

In Jena sei auf einem kommunistischen Parteitag bei Bekanntgabe der Nachricht ein Sturm der Begeisterung ausgelöst worden.

Die Zeitung „Freiheit“, das Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokratie Deutschlands bewertet den Vorfall in der Ausgabe vom 29. August wie folgt:

„Wir finden diese Auffassung außerordentlich vernünftig. Sie ist ein Zeichen dafür, daß sich die betreffenden Beamten ihrer Aufgaben vollkommen bewußt und zur Bevölkerung jenes Verhältnis zu finden bemüht sind, das notwendig ist, wenn eine Polizeitruppe ihren Zweck erfüllen soll. Der Stahlhelm ist ein Bestandteil der Feldausrüstung, die im Polizeidienst nicht nur nicht nötig, sondern schädlich ist, denn es ist durchaus zutreffend, daß die Bevölkerung von einem Grausen befallen wird, wenn sie dieses gräßliche Gerät bei der Polizei erblickt. Wir erwarten gerade von der sächsischen Regierung, daß sie für diese Gesinnung und für die Verhandlungsbemühungen des Verbandes der Beamten Verständnis zeigt und Maßregelungen unterläßt. Es wäre nur zu wünschen, daß die Auffassung der Chemnitzer Beamten Gemeingut der Schutzpolizei in allen Reichsteilen werden möchte. Von einer „Meuterei“ zu reden, ist glatter Unsinn. Diese Beurteilung des Vorganges ist ein Ausfluß preußischer Kasernengesinnung, die aus der Polizei eben gerade verbannt werden muß.“

Wie der Sachverhalt ausgegangen ist, ist derzeit nicht bekannt. Für Hinweise wäre ich dankbar.

Der Ministerpräsident Wilhelm Buck amtierte bis zum 21. März 1923 in drei Regierungen des Freistaats Sachsen. Er trat im Mai 1926 aus der SPD aus und wurde Mitbegründer und Vorsitzender der „Alten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (ASPD), für die er von 1929 bis 1930 im Sächsischen Landtag saß.

Sammlung der Zeitungsmeldungen zum Vorfall:

Zusammenstellung: Ralf Hermes, 18.04.2020

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