Quellendokumente: „Ihr dummen Ziegen!“ 1932 – Entgleisung / Provokation der NSDAP im Landtag Preußen

06.07.2023: Darstellung von drei Quellendokumenten zu einem Vorfall am 03. Juni 1933 im preußischen Landtag.

Die Niedersächsische Volksstimme aus Hameln berichtet in ihrer Ausgabe von 11. Juli 1932 wie folgt:

(Quelle: Stadtarchiv Hameln)

Abschrift: „Ihr dummen Ziegen!“ Die Nazis wolle sich herauslügen – Sie sind überführt

Die sozialdemokratische preußische Landtagsfraktion gibt folgende Erklärung ab: Der Abgeordnete Lohse hat sich in der Landtagssitzung des Freitag in einer Erklärung außerhalb der Tagesordnung mit einem nach seiner Angabe in Hameln verbreiteten Flugblatt beschäftigt, in dem behauptet war, nationalsozialistische Abgeordnete hätten weiblichen Sozialdemokratischen Abgeordneten nach dem Hinweis au den Opfertod ihrer Söhne im Krieg erwidert:

„Ihr dummen Ziegen, dafür wurden sie euch ja gemacht!“

Lohse hat diesen Zuruf für verleumderisch erfunden erklärt. Dem gegenüber stellt die sozialdemokratische Landtagsfraktion fest:

In der fünften Sitzung des Preußischen Landtags vom 3. Juni 1932 wurde, als der sozialdemokratische Redner Abg. Drügemüller erklärte: „Sie können uns national nicht beleidigen“ von nationalsozialistischen Abgeordneten, insbesondere dem Abg. Uhlemann, wiederholt gerufen: „Ihr Landesverräter!“ Daraus entspann sich ein Wortwechsel zwischen einer Gruppe nationalsozialistischer Abgeordneter, die sich um Uhlemann scharten, und einigen Frauen der sozialdemokratischen Fraktion. Die Abg. Frau Bollmann, deren damals 19jähriger Sohn Walter am 15. April 1918 an der Westfront gefallen ist, wurde von nationalsozialistischen Abgeordneten mit dem Gegenruf bedacht: „Was versteht Ihr Weiber von Politik!“ Die Abg. Frau Kähler, deren damals 21jähriger Sohn am 22. Juni 1917 an der Ostfront verletzt wurde rief: „Aber unsere Jungen durften wir hergeben!“ Darauf kam aus der bezeichneten Gruppe die Antwort:

„Ihr dummen Ziegen, dafür sind sie euch ja gemacht worden.“

Dieser Zuruf ist von einer ganzen Anzahl weiblicher Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion gehört worden. Die weiblichen Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion haben ihn daher mit Namensunterschrift der Öffentlichkeit bekanntgegeben.

Unmittelbar nach dem Vorgang, der wegen der ungeheuerlichen Art, wie deutsche Mütter beschimpft wurden, bei den Ohrenzeugen heftige Empörung auslöste, wurde der Gesamtfraktion von dem Tatbestand Mitteilung gemacht.

Die sozialdemokratischen abgeordneten, die den Zuruf selbst gehört haben, sind bereit, die Richtigkeit dieser Sachdarstellung jederzeit mit ihrem Eid zu bekräftigen.

Im übrigen sei darauf verweisen, daß über den Vorgang in zahlreichen Tageszeitung berichtet worden ist, so im …


Der Vorwärts berichtet in seiner Ausgabe vom 15.07.1932 wie folgt:


Quelle: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper/item/7XXXDZ4VVR5M32VSL5552A4OGVFMOJ7X?issuepage=4#


Text: Frauen, merkt es euch! Wie das Nazigesindel deutsche Frauen beschimpft.

Ein nationalsozialistischer Abgeordneter hat im Preußischen Landtag unter wieherndem Gelächter von den national-sozialistischen Bänken sozialdemokratischen weiblichen Abgeordneten, die riefen: „Unsere Söhne sind im Kriege gefallen!“ zugerufen:

„Ihr dummen Ziegen, dafür wurden sie euch ja gemacht!“

Merkt es euch, ihr deutschen Frauen und Mütter! Die nationalsozialistische Landtagsfraktion sucht mit eiserner Stirn diesen Zuruf abzuleugnen. Der „Angriff“, das schmutzigste und verlogenste Blatt von Berlin, spricht dabei von „marxistischen Morastkübeln“. Die Nazifraktion hat geleugnet in einer Erklärung, in der es heißt:

„Die Hochachtung, die der Nationalsozialismus der deutschen Frau und Mutter entgegenbringt, verbietet es von selbst jedem Nationalsozialisten, in der Art beleidigender Welse sich über die deutsche Frau zu äußern. „

Diese Erklärung wird sofort Lügen gestraft durch einen Artikel in der nationalsozialistischen, vom nationalsozialistischen Gauleiter und Reichstagsabgeordneten Koch herausgegebenen „Preußischen Zeitung“. Dort heißt es über deutsche Frauen:

„Ziegen älteren und jüngeren Datums… eine Schar von Mastgänsen, die watschelig ihr Fett spazieren führten… Verbrechergesindel… Pack!“

Merkt es euch, deutsche Frauen, so reden die Nazis von euch!

Die nationalsozialistische Landtagsfraktion aber hat ihrer eigenen Erklärung ins Gesicht geschlagen, als sie den infamen Antrag einbrachte gegen die Frau des Polizeivizepräsidenten Dr. Weiß, in dem es heißt:

„Ist schon ein solches Verhalten auch für einen jüdischen Beamten, dem infolge seiner Rassezugehörigkeit naturgemäß deutsche Ehrbegriffe fremd sein müssen, eine Unmöglichkeit, so kommt hinzu, daß die Frau des Bernhard Weiß, wie in Berlin öffentliches Geheimnis ist, das notorische Verhältnis des Krojanker ist. Selbst wenn B. Weiß das nicht glauben sollte, ist ihm doch bekannt, daß man in Berlin allgemein der Ansicht ist, daß intime Beziehungen zwischen Krojanker und der Frau des B. Weiß bestehen. Es ist deshalb umso unverständlicher, daß Weiß sich von diese Krojanker aushalten ließ.“

Frauen, merkt euch diese unsagbare Gemeinheit nationalsozialistischen Gesindels!

Vor kurzem wurde in Limbach bei Chemnitz der Reichbannerkamerad Mareck von Nazimördern erschossen. Die Mutterer hielt von Nazischuften den folgenden Brief:

„Herzlichen Glückwunsch, daß der Landesverräter tot ist. Erst wenn sämtliche Lumpen-Genossen den gleichen Weg gegangen sind, wird es endlich in Deutschland besser werden, denn erst seit der Plebs regiert, von dem wir uns alles gefallen lassen mußten, sind wir ins Elend gekommen. Dreimal hurrah, wenn so ein Auswuchs verschwindet!“

Dies Gesindel redet noch von „Hochachtung gegenüber der deutschen Frau und Mutter!“ Frauen, gebt ihm die richtige Antwort! Macht Schluß mit dieser Schande Deutschlands!

Frauen, wahrt eure Ehre gegen die Nazigemeinheit!


A-I-Z die Arbeiter-Illustrierten Zeitung aller Länder. Ausgabe Nr. 31, 1932

https://ladigitaldelreina.museoreinasofia.es/search/item/8955-a-i-z-die-arbeiter-illustrierte-zeitung-aller-lander?offset=1


Text. „IHR DUMMEN ZIEGEN, DAFÜR WURDEN SIE EUCH JA GEMACHT“
Diese gemeinen Worte rief am 3. Juni ein nationalsozialistischer Abgeordneter den Frauen der sozialdemokratischen preußischen Landtagsfraktion zu. „Landesverräter!“ riefen die Nazis. „Was versteht ihr Weiber von Politik!“
Und als darauf die Abgeordnete Frau Kahler, deren damals einundzwanzig-jähriger Sohn an der Ostfront verletzt wurde, rief: „Aber unsere Jungen durften wir hergeben!“, kam die Antwort: „Ihr dummen Ziegen, dafür wurden sie euch ja gemacht!“
Die Abgeordneten, die den Zuruf gehört haben, sind bereit, die Richtigkeit dieser Sachdarstellung jederzeit mit ihrem Eid zu bekräftigen.
Frauen, wollt ihr euch weiter so beschimpfen lassen?
Mütter, sollen eure Söhne wieder auf dem „Felde der Ehre“ verbluten?


Zu den genannten Personen:

A) NSDAP Abgeordneter Lohse: https://de.wikipedia.org/wiki/Hinrich_Lohse

Auszug: Von Juli 1941 bis Dezember 1944 stand er außerdem an der Spitze der Zivilverwaltung im Reichskommissariat Ostland. In dieser Position war er einer der Hauptverantwortlichen für den im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten begangenen Völkermord, insbesondere hinsichtlich des Genozids an der jüdischen Bevölkerung.

B) NSDAP Abgeordneter Uhlemann: Keine Infos

C) SPD Abgeordnete Frau Bollmann: https://de.wikipedia.org/wiki/Minna_Bollmann

Auszug: „Die Berichte der Folter und Ermordung von Genossen erschütterten Bollmann. Sie litt an Depressionen. Weil sie wegen ihrer Hilfe für Verfolgte und ihres Widerstandes gegen die Nationalsozialisten um ihr Leben fürchtete, beging sie schließlich Selbstmord. Vorher hatte sie ihren gesamten Nachlass vernichtet.“

D) SPD Abgeordneter Drügemüller: https://de.wikipedia.org/wiki/Willy_Dr%C3%BCgem%C3%BCller

Auszug: „Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Drügemüller seine politischen Ämter niederlegen und seinen Beruf aufgeben. Er wurde am 6. Juni 1933 verhaftet, ins Gefängnis des Amtsgerichtes Königs Wusterhausen gebracht und am 27. Juni ins KZ Oranienburg überführt. Später wurde er in das Nebenlager Blumberg verbracht, kam dann aber wieder nach Oranienburg und wurde am 21. Dezember 1933, nach abermaliger Inhaftierung im Amtsgerichts-Gefängnis, entlassen.“

E) Reichbannerkamerad Mareck: https://www.reichsbanner-geschichte.de/personen/person/marek-rudolf

Auszug: „Am Nachmittag des 26. Juni wird eine größere Reichsbanner-Kolonne im Stadtteil Rußdorf in der Nähe eines bekannten Treffpunkts für Nationalsozialisten von etwa 25 SS- und SA-Leuten beschossen. Rudolf Marek wird von zwei Schüssen getroffen und stirbt sofort.“


herral, 07.07.2025

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