Quellendokument – Abschrift: „Hinein in den Staat!“ von Alfred Jahn

Das Reichsbanner vom 15.10.1927 – Beilage für die Gaue Hannover, Freistaat Braunschweig – Zeitung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer e.V. Sitz Magdeburg

Hameln, 27.07.2024: Abschrift eines lesenswerten Quellendokument – Alfred Jahn, Hannover. Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold

Anmerkung: Der Text ist lang, aber gerade aus heutiger Sicht sehr lesenswert. Es ist eine Auseinandersetzung über den Umgang mit dem politischen Gegner und eine Motivationsruf an die Reichsbannermenschen. Sehr aktuell, wenn auch die Sprache etwas aus der Zeit gefallen ist.

Alfred Jahn bezahlte sein Engagement für das Reichsbanner und die SPD mit Zuchthaus und KZ. Er überlebte gezeichnet. Sein Grab ist erst vor kurzen als Ehrengrab der Stadt Hannover anerkannt worden.

Abschrift:

Hinein in den Staat! Von Alfred Jahn.

Schwarzer Tod ist unser Sold nur.

Unser Gold ein Abendgold nur.

Unser Rot ein blutend Herz.

Georg Herwegh

„Hinein in den Staat,“ ein Schlagwort nur, aber — in der richtigen Beleuchtung betrachtet — ein gefährliches Schlagwort. Schon der Gedanke, daß der Stahlhelm in seinen Versammlungen diese Materie in Form von Vorträgen, die den angeführten Titel tragen und in seinen Diskussionen behandelt, muß uns zu denken geben. Der Stahlhelm weiß, daß die Zeit, in der er und mit ihm eine große Meute von Todfeinden der Republik noch damit rechnen konnten, das Kind einer neuen Kulturepoche, eben diese Republik, gewaltsam zu beseitigen, dahin ist. Trotzdem — täuschen wir uns nicht —, im Unterbewußtsein ist auch dieses Wollen bei den Republikgegnern noch vorhanden. Deshalb, — legen wir nicht die Hände in den Schoß und halten wir die Republik in dieser Hinsicht für durchaus gesichert. Bleiben wir auch nach dieser Seite hin als freiwillige Miliz der Republik auf dem Posten. Machen wir dem Stahlhelm seine Lauheit, über die er täglich klagt — wohl wissend, daß eine Schwalbe keinen Sommer macht — nicht nach, sondern organisieren und disziplinieren wir uns weiter. Zeigen wir den Gegnern der Republik hier in Hannover bei den uns bevorstehenden Veranstaltungen im nächsten Jahre — Bundes – Generalversammlung, Reichsjugendtreffen und Gautag —, daß wir mehr können, als Geburtstagsfeiern arrangieren. Aber zur andern Seite der Sache zurück. Den Staat, den man erst versucht hat von ‚außen her zu berennen, will man jetzt — wie die Maden den Speck — von innen heraus aushöhlen. Zellenbau nennt es eine andre Sorte von Republikgegnern. Man hat erkannt, daß man sich beim Anrennen gegen eine festgefügte Mauer lediglich die Köpfe einstößt, während man dick und rund wird, wenn man den andern allen Speck wegißt. Man meint jetzt: „Der Stahlhelm verdankt seine Entstehung dem Bedürfnis nach Schutz des Reiches gegen äußere und innere Feinde . . . Er will sich nicht darauf beschränken, das Vaterland zu schirmen, er will tätigen Anteil an dessen weiterer Entwicklung und Umformung nehmen!“ Also ihr Republikaner, ihr Schutztruppler der Republik, tätigen Anteil an der „Umformung“ des Vaterlandes, sprich Staates, ist der Endzweck des Stahlhelms, der aus einem „unpolitischen“ Wehrverband sich in eine politische Organisation verwandelt hat. Er stellt daher die Forderung an die Rechtsparteien: „Nehmt Kandidaten aus der Elitetruppe der Nationalisten, dem Stahlhelm, auf eure demnächstigen Kandidatenlisten. Ihr seid durch das parlamentarische System zu sehr geknechtet, eure „Abhängigkeit läßt ein Festhalten am klar erkannten Ziele nicht zu.“ (Man durchgeht rückläufig so die Zeit von „Mampe halb und halb“, bis auf die Gegenwartstage.) In diesem Zusammenhange nennt sich der Stahlhelm nun: „Hüter des „reinen“ vaterländischen Gedankens, Gewissen des Vaterlandes.“ Vaterländischer Gedanke und Gewissen des Vaterlandes, so wie der Stahlhelm seinen vaterländischen Gedanken pflegt und sich das Gewissen des Vaterlandes denkt. Abermals ein Mahnruf an uns: Lassen wir uns unsre Arbeit am Vaterlande nicht verkümmern, überlassen wir unser Vaterland nicht den Feinden der Republik, seien wir das Gewissen dieser neuen Republik, unsers Vaterlandes. Machen wir es nicht wie der Bundesvorsitzende des Stahlhelms, Selters-Seldte, von dem seine „Untergebenen“ berichten, daß er bei allen Gelegenheiten, wo er auftritt, Reden redet, sondern üben wir die Tat. Wie übrigens die Mitarbeit des Stahlhelms im Staate aussehen würde, davon nur zwei Proben. Von der Hindenburg-Geburtstagsfeier in Berlin wird u. a. berichtet: „. . . Auch hatten wir die Ehre, den Herrn preußischen Innenminister in seinem feudalen Staatsautomobil, welcher höchst selbst die Spalierbildung überwachte, kennen zu lernen.“ Pöbelhafter Zynismus gegen hohe republikanische Beamte also. Auf der andern Seite aber so weitgehende Ueberheblichke.it, daß man seinen Bundesführer Seldte dem Reichspräsidenten Hindenburg fast an die Seite stellt. Die Stahlhelmarbeit im Staate würde- vielleicht weiter zeitigen, daß etwa der 18. Januar, vielleicht auch der 27. Januar als Gedenktag an den Flüchtling in Holland, der 2. September oder andre zu Nationalfeiertagen bestimmt würden an Stelle des 11. August. Denn für den Stahlhelm ist es schon beschämend, wenn in „nationalen“ Kreisen die Frage aufgeworfen wird, ob man an der Verfassungsfeier teilnehmen soll. Die „national eingestellten“ Beamten werden von ganzem Herzen bedauert, die von Staats und Reichs wegen daran teilnehmen müssen. Ein bezeichnendes Kompliment für die, nach der Geistesverfassung des Stahlhelms „national eingestellten“ Beamten, die den Eid auf die Verfassung der Republik geleistet haben. Kurze Streiflichter bedeuten die vorstehenden Tatsachen. Man könnte tiefer schürfen. Aber bleiben wir zunächst bei dem, was nach außen hin sehr plastisch in, Erscheinung tritt. Suchen wir von neuem immer wieder Mittel und Wege, um alle Gefahr auch in Zukunft von der Republik abzuwenden. Organisieren und disziplinieren wir uns weiter, bereiten wir uns vor auf den Endkampf. Sagt der Stahlhelm von sich, daß das Bedürfnis nach Schutz des Reiches gegen den „inneren“ Feind, durch Befestigung der Zustände, nachgelassen habe und er, der Stahlhelm, sei über sein eignes Ziel hinausgewachsen, so haben wir die Pflicht, dieses richtig aufzufassen. Wenn oben schon gesagt ist, daß der Stahlhelm sich politisiert, dann haben wir diese Angelegenheit von verschiedenen Seiten zu würdigen. Zunächst wiederholen wir die Forderung, die nicht oft und nicht eindringlich genug gestellt werden kann: Reichsbannerkameraden, hinein in die für euch in Frage kommeden republikanischen Parteien und Gewerkschaften. Nicht habt ihr eure Pflicht erfüllt der Republik dem Vaterlande gegenüber, wenn ihr nur Mitglieder im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold seid, oder wenn ihr am Wahltag euern Stimmzettel abgebt für einen Republikaner. Das Bewußtsein, die zur Republik stehenden Organisationen — Gewerkschaften und Parteien — so mitgestärkt zu haben, daß sie in der Lage sind, durch wirtschaftliche und parlamentarische Arbeit den neuen Staat mit sozialem Inhalt zu erfüllen, gibt euch erst das Recht, das Bewußtsein in euch aufzunehmen, mitgeholfen zu haben an der Erfüllung unsrer Forderungen. Das Frauenwahlrecht, ein zweischneidiges Schwert in unsrer eignen Hand, muß überwacht werden. Der Frau müssen die Vorteile der Neuordnung in das rechte Licht gerückt werden. Jeder republikanischen Frau muß das Bewußtsein der Mitverantwortlichkeit immer und immer wieder eingeprägt werden. Diese Möglichkeit besteht aber auch nur, wenn wir Männer selbst unsre Pflicht erkannt haben und uns mit den Frauen, wie vorher gezeigt, zusammen organisieren. Dadurch werden wir das Ziel, Stimmenabgabe der Frau für die Republik, auch erreichen. Nicht eine Aufgabe des Bundes der republikanischen Kriegsteilnehmer ist es, sondern Aufgabe der politischen Parteien und Gewerkschaften, die Frau politisch zu schulen. Der Reichsbannerkamerad, als derjenige, der den richtigen Weg erkannt hat, hilft den genannten Organisationen in individueller Kleinarbeit. Eine Frage von grundlegender Bedeutung für die Erhaltung der Republik ist die Frage der Wegbereitung für die Jugend. Führen wir die Jugend auf den einzigen nur für sie gangbaren Weg. Zeigen wir der Jugend, daß es uns fernliegt, sie schulmeistern zu wollen, sagen wir ihr nur immer wieder, hier und so geht dein Weg, wahre deine Zukunft. Da haben wir den eigentlichen Anfang unsrer Pflichterfüllung. Was in der Gegenwart noch zu leisten ist, können wir vielleicht noch mit eignen Kräften, seien wir durch diese Arbeit Wegbereiter in die Zukunft, für die Jugend. Aber auch die Jugend hat eine Pflicht. Nicht die Lauen, nicht die Abseitsstehenden seien ihr Vorbild. Hinblicken muß die Jugend auf jene Kameraden und Führer, die mit unermüdlicher eiserner Willenskraft ihre selbstaufgenommenen Pflichten erfüllen, die nicht müde werden, den immer wieder auftauchenden Gefahren die Stirn zu bieten. Nicht jene Kritiker die an dem, was getan wird, immer herumnörgeln — in der Regel urteilslose Mitläufer —, sondern die Kameraden, die in stiller zäher Arbeit für die Organisation und somit für die Republik das Beste zu leisten suchen, sind der Achtung aller würdig. Der einzelne muß diesen Kameraden nachstreben. Nicht als reife Frucht ist uns die Republik in den Schatz gefallen, nicht als reife Frucht wird die uns nachfolgende Generation die Republik aus unsern Händen nehmen können. Wer, was wir zusammen schaffen können, ist das, daß die Sicherung der Republik die gleiche bleibt wie sie gegenwärtig ist. Deshalb und damit nicht jene Herweghschen Worte vom schwarzen Tode, vom Scheingold und blutenden Herzen einstmals bittere Wahrheit werden- darum laßt uns zusammenstehen, Männer und Frauen, alt und jung. Blutende Herzen, matter Abendschein und schwarze Nacht würden uns umgeben, wenn es den Feinden der Republik gelänge, ihre nur allzu bekannten Ziele zu erreichen. Verfallen wir nicht in den Fehler, die Wehrorganisation der Republik als Selbstzweck zu betrachten, sondern seien wir uns immer wieder bewußt, daß unsre Aufgabe ist: Dienst an der Republik, Dienst an einem Vaterlande nach unserm Sinne. Dann mag der Stahlhelm seinen gegenwärtigen Schlachtruf: „Hinein in den Staat,“ so laut ausstoßen wie er will, er wird im Staate Widerstände finden, an denen sein Vorhaben, den Staat auszuhöhlen, zerschellen muß.

Alfred Jahn.


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