Das Reichsbanner vom 01.01.1928 – Beilage für die Gaue Hannover, Freistaat Braunschweig, Bielefeld
Zeitung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer e.V. Sitz Magdeburg
Hameln, 27.07.2024: Abschrift eines lesenswerten Quellendokument – Alfred Jahn, Hannover. Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Abschrift:
Was wie wollen und was wie sollen. Von Alfred Jahn.
Warum sind wir im Reichsbanner? Von hohen Idealen erfüllt, haben wir uns einer großen Sache gewidmet. Wir haben uns zusammengefunden in einer Organisation, die auf ihre Fahnen schrieb: „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Wir haben uns gegenseitig in die Hand versprochen, für diese Begriffe zu kämpfen und zu siegen. Unser höchster Ehrbegriff gipfelt darin, dafür zu kämpfen, daß allen Menschen, die in unsrer Gemeinschaft leben, völlige persönliche Freiheit und ein rechtes Vaterland geschaffen wird, zur höchsten Ehre der Menschlichkeit. Nicht mehr soll ein Teil der Volksgemeinschaft als Deklassierte abseits stehen müssen, nicht soll mehr der Begriff „Vaterland“ ein verzerrter sein. Keiner soll mehr Paria sein, sofern er nicht das Gemeinwohl in verbrecherischer Weise schädigt. Verbrecher jedoch, an der Gemeinschaft, gehören nicht in diese. Ein Haus wollen wir uns zimmern und es wohnlich einrichten, damit wir gemeinsam leben und schaffen können, ein Haus, das wir wirklich unser Vaterhaus, ja, unser Vaterland nennen können. Ein Vaterland, das erfüllt ist von Gerechtigkeit und sozialem Geiste. Das ist zunächst ein Teil des Programms unsrer „Außenpolitik“, innerhalb der Grenzen der deutschen Republik. Um das Ziel dieser „Außenpolitik“ zu erreichen, wissen wir, daß wir gegen schwärzesten Unverstand, gegen knifflichste Reaktionskunststücke und gegen schärfstes Demagogentum der Gegner unsrer Republik zu kämpfen haben. Gegen alle Feinde einer demokratischen Volksgemeinschaft geht unser Kampf. Gegen Feinde, die sich selbst hermetisch abschließen, gegen das deutsche Volk in seiner breiten Masse. Die mit dem schaffenden Volke, das erst mit seiner Werte erzeugenden Arbeit die Grundbedingungen für ein Gemeinschaftsleben ermöglicht, nichts gemein haben wollen. Die sich abschließen, dergestalt, daß sie Klassengegensätze künstlich aufrechterhalten und versuchen, die Privilegien ihrer Kaste, wie sie im alten Obrigkeitsstaat bestanden, wieder herzustellen. Das ,,ran an die Futterkrippe“ und das „Hinein in den Staat“ wird den Gegnern der Republik zu Standparolen, zu Parolen, die immer wiederholt — die erstere nur leise, die andre laut — ertönen. Zweck der Uebung ist Vorpostengefechte zu liefern, als Auftakt für einen größern Schlag, dem dann Schlag auf Schlag folgen soll, bis die verhaßte Republik beseitigt ist. Wir wollen das, was die Feinde der Republik gegen diese und gegen uns im Schilde führen, in das Gegenteil verkehren. Wie wir dieses fertigbringen, ist uns hundert-, ja tausendfach schon gesagt worden. Bei jedem Schachzug, den die Gegner taten, erfolgte unsre Parade. Wir haben uns gegen den verrohten politischen Kampf der Jahre 1923/24 gewandt mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir schufen das Reichsbanner, als wir nicht mehr mit diesen Mitteln auskamen. Wir erhoben die Warnung an die Feinde der Republik, daß wir uns wehren würden mit den Mitteln, mit denen wir und die Republik angegriffen würden. Zahlreich sind die Angriffe, die noch erfolgten, auch während des Bestehens des Reichsbanners. Weil wir im Gegensatz zu den rechtsgerichteten Wehrorganisationen, besonders im Gegensatz zum Stahlhelm, eintreten für den Bestand der politischen Parteien und für den Parlamentarismus, deshalb werden wir — in vorderster Kampflinie für die Demokratie stehend — am schärfsten, selbst heute noch, bis über die Grenzen politischer Anständigkeit hinaus, bekämpft. Aber nicht allein am außenpolitischen Himmel unsrer Wirksamkeit (ich bitte, hier unsre oben geschilderte „Außenpolitik“ zu verstehen), sehen wir Wolken aufgetürmt, sondern in unsrer unmittelbaren Nähe sind solche zu verzeichnen. Was wir sollen, muß jetzt gesagt werden. Wir sollen darauf achten, daß in den uns nahestehenden Kreisen nicht das Verständnis für unsre Arbeit verlorengeht. Wir sollen darauf verweisen, daß eine einzelne republikanische Partei nicht die Republik bedeutet, ganz gleich, welche wir annehmen, sondern daß der republikanische Staatsgedanke, nur durch das Reichsbanner „gefiltert“, immer wieder neue Blüten treiben kann. Wir sollen und müssen das Bindemittel sein, welches überparteilich stets auf der Wacht ist, für den Bestand der Republik. Das ist unsre „Innenpolitik“. Wir sollen aber noch mehr, und das ist der Kern, warum ich den Kameraden im Reichsbanner einmal deutlich zu machen versuche, worum es sich handelt. Warum der Hinweis: „Was wir wollen und was wir sollen.“ Mancher von uns hat sich schon oft durch politische Rückschläge und andres seinen klaren Blick trüben lassen und sucht innerhalb der Organisation die Ursache von mehr oder weniger großen Mißerfolgen oder Mißständen. Er macht die Organisation dafür verantwortlich. Kameraden, die so etwas tun, hauen vollkommen daneben. Wenn ich sage, sie machen die Organisation verantwortlich, so trifft diese Verantwortung bzw. der Vorwurf die in erster Linie dafür Verantwortlichen, und das sind die Führer. Befindet sich derjenige, der einen solchen Vorwurf erhebt, in einer Führerstellung, so schlägt er sich in das eigne Gesicht. Das ist etwas, was wir nicht sollen, weder solche Vorwürfe machen, noch uns selbst schlagen. Weil nun schon gesagt worden ist, wir sollen dieses nicht, so gelangen wir sehr leicht zu den Ursachen, welche dazu führen, daß wir unlogisch werden und verkehrt denken und urteilen. Da ist einmal die Tatsache, daß es vorkommt, daß man sich Führer wählt und diese Führer dann abstempelt, d. h. sie zu Prügelknaben herabwürdigt. Das ist auch etwas, was wir nicht sollen. Die Ursache zu solchen bedauerlichen Erscheinungen liegt aber in den seltenern Fällen in der Qualität des Führers begründet, sondern ist anderswo zu suchen. Da gibt es z. B. manchmal so ein Trio, bestehend aus dem Kameraden Nörgel, dem Kameraden Möchtegern und dem Kameraden Besserweis, das sich an einem Stammtisch, auf der Arbeitsstelle, wo es doch wahrlich andre Fragen zu erörtern gibt, oder in irgendeinem Krämerladen zusammenfindet, wo dann das Möglichste und in den allermeisten Fällen das Unmöglichste „verhackstückt“ wird. Das erste Geräusch ist gemacht, die drei gehen auseinander und tragen das oft unter dem „Siegel der Verschwiegenheit“ gehörte hinaus in alle Welt. Die Fama raunt mehr und mehr dazu und schon ist das große Geräusch fertig. Bei einer Untersuchung bleibt letzten Endes von der ganzen Geschichte nichts über und den Letzten beißen die Hunde. Denn der Uebeltäter, welcher den ersten Anstoß gab, ist in der Regel nicht mehr festzustellen. Also auch das ist etwas, was wir nicht sollen. Wir sollen aber solche Wirtshausgespräche und wir sollen Oertlichkeiten meiden, wo derartige Dinge „verzapft“ werden. Wirtshäuser dienen neben der manchmal zweifelhaften Auffrischung unsrer sterblichen Bestandteile der Geselligkeit, Krämerläden der Befriedigung von Bedürfnissen, die in derselben Richtung liegen, und auf der Arbeitsstelle könnte man, neben der Erfüllung seiner Arbeitspflicht, in etwa noch verbleibenden Pausen sich mit solchen Dingen beschäftigen, die die gleiche Materie, d. h. die Magenfrage betreffen. Also, Kameraden! Kehren wir zu dem zurück, was wir sollen. Das Vorhergehende zu sagen war allerdings zum bessern Verständnis des nun folgenden notwendig. Also, ich sagte schon, was wir sollen ist uns auch schon oft genug gesagt worden. Erst in letzter Zeit wurde wieder Veranlassung genommen, die Jungbannerkameraden auf ihre Pflichten hinzuweisen. Was für diese gilt, ist für jeden einzelnen Rsichsbannerkameraden Gesetz. Hier sind die Pflichten des Reichsbannermannes: Pünktlichkeit bei jeder Aktion, bei jeder Versammlung, bei jeder Uebung und bei jedem Alarm. Disziplin gegenüber dem frei gewählten Führer, Nüchternheit und Verschwiegenheit (ein guter Reichsbannermann meidet den Alkohol und spricht in Wirtshäusern und vor Fremden nicht von den Angelegenheiten der Organisation), Zuverlässigkeit, Besonnenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber allen Mitmenschen. Erfüllen wir diese Pflichten und erkennen wir auch als Demokraten ein gewisses Autoritätsprinzip der Organisation und den Führern gegenüber an, dann werden nie unsinnige Dinge vorkommen und wir können uns, wenn wir tun, was wir sollen, der Aufgabe widmen, die wir wollen.
Alfred Jahn
Quelle: https://www.reichsbanner-geschichte.de/zeitungen/1928
Weitere Texte von Alfred Jahn:
herral, 27.07.2024