Die Polizei zwischen Reform und Holocaust und das Scheitern der Weimarer Republik.

Vortrag von Dr. Dirk Götting, Polizeiakademie Niedersachsen / Polizeimuseum Nienburg

In einer knappen Stunde erläuterte der niedersächsische Polizeihistoriker Dr. Götting in freier Rede die Zusammenhänge von Kaiserreich und Weimarer Republik sowie die nachfolgenden Ereignisse bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Zunächst gab es einen politischen Überblick über Zusammenhänge und Veränderungen, weg von der Monarchie, hin zur maximal freiheitlichen ersten deutschen Republik. Was das heute oft gebrauchte Schlagwort von den „Weimarer Verhältnissen“ tatsächlich bedeutet, wurde sehr anschaulich erklärt. Das Mehrheitswahlrecht und die die Demokratie ablehnenden Gruppen am rechten und linken Rand reduzierten die Zahl der Abgeordneten und Parteien, die tatsächlich konstruktiv demokratische Politik gestalten wollten, erheblich. Dazu kam die Rolle eines direkt gewählten Reichspräsidenten mit ganz anderen Politikoptionen als heute.
Als nächstes erläuterte Dr. Dirk Götting den Wandel in der Polizei vom Kaiserreich zur Demokratie, von einer autoritären, eher bürgerfeindlichen/obrigkeitsorientierten Polizei, hin zum „Freund und Helfer“. So nämlich lautete das neue Image der Polizei in der Weimarer Republik. Die inneren Reformen gingen oftmals von den einfachen Wachtmeistern aus und mussten gegengenüber vielen im militärischen Hierarchiedenken verkrusteten Führungsoffizieren durchgekämpft werden. Die Instrumente dazu gab die Republik. Es wurden unabhängige Gewerkschaften zugelassen und -wohl einmalig in Europa – mit den Beamtenausschüssen die heutigen Personalvertretungen institutionell als Mitbestimmungsgremien eingerichtet. Innerhalb kürzester Zeit ergaben sich so enorme Veränderungen im Berufsbild und auch in den Ausbildungsansprüchen einer Republikpolizei.
Aber auch die Zerrissenheit der Republik mit radikaler, gewaltsamer Verlagerung der politischen Auseinandersetzung auf die Straße wurde deutlich. Zu Beginn der Republik versuchten linksextreme Kräfte gewaltsam die Republik zu stürzen, und die Polizeikräfte waren verhasste Gegner der kapitalistischen Republik, die gestürzt werden sollte. Der Ruhrkampf war Bürgerkrieg in der Republik. Später gab es politische Morde von Seiten des Rotfrontkämpferbundes gegen Polizeibeamte.
Die rechtsextreme Gewalt dagegen richtete sich nicht vordergründig gegen die Polizeibeamten. Rhetorisch gingen die Nationalsozialisten scharf gegen die Polizeiführung vor. Den „einfachen“ Wachtmeister wollten die Rechtsextremen als Verbündeten gewinnen.
Gemeinsam mit den Kommunisten aber war die Strategie, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Polizei und damit des Staates zu erschüttern. Ziel war es Angst und Unsicherheit in die Bevölkerung zu tragen.
Ab 1930 begann, so Dr. Dirk Götting, die Demokratiedämmerung der 1. Republik. Mit dem Kabinett der Barone 1932 gab es keine parlamentarische Legitimität der Reichsregierung mehr. Die Erosion der Republik begann in den Ländern. Braunschweig war eines der ersten Länder, in denen die Nationalsozialisten legal an die Macht kamen. Damit bekamen sie über das Innenministerium Zugriff auf die Polizei. Es wurde die Blaupause für eine Machtübernahme gelegt. Hier wurde geübt, wie man eine republikanische Polizei zu einer nationalsozialistischen Polizei formt.
1932 setzte sich die Krise immer weiter fort. Im Mai wählte jeder zweite wahlberechtigte Oldenburger die Nazis. Damit wurde Karl Röver zum ersten nationalsozialistischen Ministerpräsidenten des Freistaates Oldenburg in Deutschland. Im gleichen Jahr wurde verfassungswidrig die Preußische Regierung abgesetzt. Damit fiel auch die größte deutsche Polizei in die Hände demokratiefeindlicher Führungsebenen.
Götting erklärte anschaulich die Mechanismen, die die Nationalsozialisten benutzten, die Polizei zu übernehmen. Er beschrieb das Schicksal von Einzelpersonen in der Polizei, bis hin zu den Massenzahlen der Ermordungen im Zweiten Weltkrieg im Rahmen des so genannten „Bandenkampfes“. Was das bedeutete, wurde im Detail in Zahlen und Statistiken erfasst. Nach Göttings Meinung hatten „99% der Opfer der Nationalsozialisten absolut nichts getan, außer dass sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren“.
Der Umgang mit so einer Geschichte ist für die Polizei absolut nicht einfach. Dass mittlerweile die NS-Vergangenheit als „Vogelschiss“ in der erfolgreichen deutschen Geschichte dargestellt wird, regte den Historiker sichtlich auf. Für die Polizei sei die NS-Zeit und ihre eigene Geschichte kein „Vogelschiss“, sondern eher ein Trauma, so Götting weiter. Doch wie soll man als Institution Polizei mit so einem Trauma umgehen? Verdrängen, wie lange Zeit praktiziert, sei nicht der Weg zur Bewältigung. Götting betonte, dass wir als Polizei uns dieser Geschichte stellen müssen. Objektiv und offen damit umzugehen versuchen. Dazu gehöre auch, dass man sich hinter die Opfer stelle. Deshalb sei es absolut berechtigt, dass in Berlin das Mahnmal für die Opfer des Holocaust stehe. Was, so fragte Götting, wolle man eigentlich, wenn man eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad verlange? Wolle man wieder Sedanfeiern abhalten? Des Sieges über Frankreich 1940 gedenken? Oder gar Helden und Krieger ehren?
Die Polizei gehe mittlerweile erfolgreich einen anderen Weg. Die Polizeiakademie Niedersachsen stelle sich der Verantwortung für die Geschichte und intergiere diese Erinnerungsarbeit in die Ausbildung der Polizei.
Dr. Dirk Göttings Vortrag endete mit einem Zitat und einer Aufforderung:
„Die Weimarer Republik ist letztlich nicht daran gescheitert, dass zu früh zu viele Nazis, sondern dass zu lange zu wenige Demokraten vorhanden waren.“ Richard von Weizsäcker
„Das heißt, wenn uns dieser Staat, wenn uns die freiheitliche Demokratie wichtig ist, dann müssen wir dazu stehen. Dann müssen wir Gesicht zeigen, und dann sollten wir dazu stehen. Und ich würde Sie bitten, dazu zu stehen.“

Und die Zuhörer erhoben sich und applaudierten.

 

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