Quellendokument: „Braunschweig – ein Fanal“ Deutsche Freiheit vom 27./28. August 1933 – Saarbrücken

12.01.2025: Ein Zeitungsartikel über die Vorkommnisse im März 1933 im Volksfreund-Haus in Braunschweig und darüber hinaus.

Zum Volksfreund-Haus steht bei Wikipedia:

Das Gebäude wurde von 1913 bis 1914 nach Plänen des Architekten Karl Munte im Stil des späten Jugendstils errichtet und diente dann als Parteizentrale der SPD des Freistaats Braunschweig und der Stadt Braunschweig sowie als Sitz des Ortsausschusses des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Weitere Räumlichkeiten nutzten das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, verschiedene Jugendorganisationen und die Volksbibliothek. Ab März 1933 nutzte die NSDAP das Haus als Schutzgefängnis und Folterstätte der SS-Hilfspolizei. Zuvor stürmten Mitglieder der SA die Räume, misshandelten Anwesende und verbrannten Fahnen, Bücher und Akten der Gewerkschaften und der SPD vor dem Haus; das Feuer brannte drei Tage lang.


Der Zeitungsbericht:

Quelle: https://collections.fes.de/historische-presse/periodical/zoom/215769

Abschrift mit Recherche zu den einzelnen Fällen:

Braunschweig- ein Fanal

Eine internationale Kommission berichtet…

Von den 63 Millionen Einwohnern Deutschlands wohnt nur eine halbe Million in Braunschweig. Von den 470 628 Quadratkilometer der Bodenfläche Deutschlands entfallen nur 3672 auf Braunschweig, nur dreiviertel Prozent der Einwohner und der Bodenfläche Deutschlands macht dieser Landesteil aus.

Aller Terror, der in den nachstehenden Veröffentlichungen festgestellt wird, wurde in diesem kleinen Teile Deutschlands verübt. Es ist nur ein Ausschnitt aus den entsetzlichen Verbrechen, die im ersten Quartal der Hitler-Herrschaft in Deutschland verübt worden sind, aber ein Ausschnitt, der auf das eindrucksvollste zeigt, was das ganze Deutschland an erdulden hat.

Alle in den aufgeführten Berichten angeführten Fälle sind verbürgt. Unbestimmte Mitteilungen sind in diese Sammlung nicht aufgenommen worden. Es wird nur berichtet, was den Augenzeugen selbst bekannt war oder aber was ihnen durch zuverlässige Augenzeugen, für die sie sich verbürgen können, in Erfahrung gebracht worden ist.

„Volksfreund“-Haus wird „besetzt“

Am Nachmittag des 9. März wird im Hause des „Volksfreund“ Gebäudes eine Sitzung der Landtagsfraktion abgehalten. Dort waren um 16.05 Uhr Lastautos mit SA. und SS. vorgefahren. Die Hauswache schloß blitzschnell die Türen. Die Nazis schlugen aber die großen Schaufenster ein und drangen durch die Öffnungen in das Gebäude. Sie eröffneten im Hause ein lebhaftes Feuer aus zahlreichen Karabinern und Revolvern. Dabei wurde der etwa 28jährige Kaufmann

Hans Seile,

beauftragter Werbeleiter der Inseraten-Union Berlin (Konzentration A.-G.), durch Bauchschuß getötet. Er hatte von seiner vorgesetzten Stelle den Auftrag erhalten, den gefährdeten Bezirk Braunschweig zu verlassen und am gleichen Tage nach Saarbrücken zu reisen…

Die Eindringlinge stürmten die Treppe hinauf. Verschlossene Türen wurden mit Gewehrkolben zertrümmert, Gewerkschaftssekretäre, Angestellte, Stenotypistinnen, Konsumverkäuferinnen wurden mit Knüppeln, Karabinern, Revolvern und Dolchen zusammengetrieben und mißhandelt. Dann sperrte man sie mit „Hände hoch“ stundenlang ein, ehe man sie mit Fußtritten und Ohrfeigen entließ.


Über Hans Seile: Keine Infos gefunden


Der Arbeiter A. P.

hatte sich beim Eindringen der Nazis hinter einem Schrank versteckt. Er hatte dort beobachtet, wie die Geschäftsbücher in kindischer Zerstörungswut unbrauchbar gemacht wurden. Er hatte gehört, wie die Leute darüber schimpften, daß ihre Beute an Geld und Wertsachen viel zu gering geblieben sei. A. P. wurde entdeckt, schwer mißhandelt und dann aus dem Hause geworfen.


Der Geschäftsführer Otto Berbel,

Geschäftsführer des Gesamtverbandes in Braunschweig, wurde während der Besetzung auf der Treppe schwer mißhandelt und dann hinausgeworfen.


Über Otto Berbel: keine Infos gefunden


Der „Volksfreund“-Akquisiteur Wilhelm Granel,

Stadtverordneter, wohnhaft Kastanienallee in Braunschweig, wurde ebenfalls vor seinem Hinauswurf schwer mißhandelt.


Über Wilhelm Granel: keine Infos gefunden


Der ehemalige Polizeioberleutnant Richard Neuenfeldt,

jetzt Kraftfahrer beim „Volksfreund“, wohnhaft im „Volksfreund“-Wohnhaus, Oelschlägern 27 zu Braunschweig, war bei Beginn der Besetzung auf dem Hofe mit Autoreparaturen beschäftigt. Er wurde erkannt und mit Knüppeln, Stahlruten, Revolverknäufen, Eisenwerkzeugen so lange auf den Kopf und in das Gesicht geschlagen, bis er bewußtlos zusammenbrach.

Auch dann noch trat man ihn mit Füßen, schleifte ihn über den Hof und warf ihn hinaus. Neuenfeldt ist Frontsoldat und hat den Krieg bis zu Ende mitgemacht. Die ihn mißhandelten, waren ein typischer Fall, der sich unzählige Male wiederholt etwa zwanzigjährige Jungen. Neuenfeldt ist infolge der erlittenen Mißhandlungen körperlich und seelisch gebrochen.


Über Richard Neuenfeldt: In der Zeitung „Das Reichsbanner“ – Beilage für die Gaue … Freistaat Braunschweig“ … wird Neuenfeld als Technischer Leiter des Reichsbanners-Schwarz-Rot-Gold benannt.

Quelle: https://www.reichsbanner-geschichte.de/media_zeitungen/media_zeitung/1928-02-01/1928-02-01_Hannover-Braunschweig-Bielefeld.pdf


Die ordentliche Polizei(Schupo) sperrte unterdessen mit starkem Aufgebot die an den „Volksfreund“ grenzenden Straßen ab. Vor ihren Augen

plünderten die Nazis das Gebäude aus.

Sie zerstörten die Inneneinrichtungen. Was nicht niet- und nagelfest war, schleiften sie auf den Ackerhof. Akten, Einrichtungsgegenstände, kostbares Verwaltungsmaterial, das Bücherlager der „Volksfreund“-Buchhandlung, viele Zentner teurer Werbefilme, Grammofonplatten, Geschäftsbücher, Fahnen trugen sie zu einem Scheiterhaufen zusammen und entzündeten ihn. Drei Tage und drei Nächte brannte das Feuer.

Der „Volksfreund“-Redakteur Genosse

Ernst Severitt,

wohnhaft Auerstraße, wurde in der gleichen Nacht von Nazileuten aufgegriffen und in das „Volksfreund“-Haus gebracht. Dort wurde er von der Besatzung mit den Worten „Marxistenschwein“,“Sau“,“Mistbonze“ usw. bedacht und stundenlang mit Knüppeln und Fäusten traktiert. Dann wurde er mit Fußtritten hinausgeworfen. Er mußte sich außerhalb Braunschweigs auf das Krankenlager begeben.


Über Ernst Severitt: keine Infos gefunden


Die Bürgerpresse

Braunschweigs berichtete am nächsten Morgen über die Besetzung. Sie sei vollkommen zu Recht erfolgt, denn das Haus sei seit langem ein Unruheherd gewesen, außerdem sei eine Unmenge staatsfeindlichen Materials und viele Munition im Hause gefunden worden. Nicht eine einzige dieser Angaben ist wahr.

Der Bürgermeister Böhme

Der Oberbürgermeister der Stadt Brauschweig, Ernst Böhme, Mitglied des Landtages, wohnhaft Adolfstraße, wurde während des Dienstes im Rathause von einer großen Menge von Nationalsozialisten überfallen. Er wurde in Gegenwart der Polizei gezwungen, seine Aemter niederzulegen und in

das Kreisgefängnis zu gehen. Es gelang Dr. Jasper nach einigen Tagen, auch ihn zu befreien. Oberbürgermeister Böhme floh.

Nach acht Tagen kehrte er nach Braunschweig in seine Privatwohnung zurück. Er rief bei der Polizei an: „Liegt gegen mich etwas vor?“ Die Polizei antwortete: „Nach genauen Erkundigungen bei allen in Frage kommenden Stellen können Sie ohne Sorge sein.

Es wird Ihnen nichts geschehen.“

Kaum hatte Böhme das Telefon verlassen, da kletterte aber auch schon eine Bande SA. und SS. über seinen Balkon und drang in seine Wohnung ein. Genosse Böhme, der gleichfalls, wie so viele Opfer des Terrors, Frontsoldat und Schwerkriegsbeschädigter ist, wurde in Gegenwart seiner Frau übel zugerichtet. Frau Böhme rief die Polizei an. Eben wollten die Nationalsozialisten mit Böhme das Haus verlassen, da erschien das Ueberfallkommando der Polizei mit einem Offizier. Der Führer der braunen Bande schnauzte den Polizeioffizier an: Was wollen Sie denn?

Wir sind doch schon hier!“ Darauf machte der Polizeioffizier

eine Ehrenbezeugung vor dem SA.-Führer und fuhr mit seinen Mannschaften ab. Oberbürgermeister Böhme wurde nun in das „Volksfreund“-Haus gebracht. Die Horde stürzte dort mit Knüppeln und Karabinern über ihn her und mißhandelte ihn stundenlang.

Dann hing man ihm eine große rote Schärpe um und schleifte ihn im Triumph durch die Stadt. Die Begleiter riefen: „Seht das Marxistenschwein! Seht den Spitzbuben, seht euren roten Verbrecher! Jetzt wird er aufgehängt!“ Sie fuhren dabei fort, ihn mit Schlägen und Fußtritten zu mißhandeln.

Dann ging es zurück in das „Volksfreund“- Haus. Dort wurde Böhme so lange blutig geschlagen, bis er eine Erklärung unterschrieb, daß er seine sämtlichen Parteifunktionen niederlege, aus der Partei ausscheide und nie gegen die neue Regierung kämpfen werde. Böhme wurde daraufhin aber keineswegs freigelassen, sondern wieder in das Kreisgefängnis gebracht..


Über Ernst Böhme: Wikipedia:


Landtagsabgeordneter Thielmann

Der „Volksfreund“-Redakteur und Landtagsabgeordnete Otto Thielemann, wohnhaft Fasanenstraße in Braunschweig, ein Frontsoldat, wurde seit langem verfolgt und war flüchtig. Dann zwangen ihn die Verhältnisse nach Braunschweig zurück. Er begab sich in die Wohnung des Geschäftsführers des „Volksfreund“, Cartal, um dessen Aufenthaltsort zu erfahren. Als er das Haus verließ, stellte ihn ein SA.-Mann mit einem Revolver, Thielemann sprang in ein vor dem Hause wartendes Auto, um zu entkommen. Der Fahrer des Wagens wurde mit vorgehaltenen Pistolen gezwungen, zu halten. Thielemann wurde herausgezerrt und in das „Volksfreund“-Gebäude geschleppt. Die Bürgerpresse meldete, Thielemann sei verhaftet und einem längeren Verhör unterzogen worden.

Wie sah das Verhör aus?

Als die Nationalsozialisten mit Thielemann im Volf8freund“ anlangten, stürzte sich eine Meute mit Knüppeln, Karabinern und anderen Waffen auf ihn. Er wurde viele Stunden hindurch in das Gesicht, in die Augen, auf den Kopf geschlagen und in den Leib getreten. Man verlangte von ihm die Nennung von Spitzeln, die den „Volksfreund“ mit Material versehen hatten. Nach langer Folterung nannte er einige Namen, um nicht totgeschlagen zu werden.

Die von Thielemann genannten Leute wurden kurze Zeit darauf in das Katholische Krankenhaus zu Braunschweig eingeliefert. Man hatte ihnen die Geschlechtsteile zertreten.

Thielemann wurde nach den Mißhandlungen in das Kreisgefängnis zu Braunschweig eingeliefert. Anwohner der Nachbarstraßen des Volksfreund“ sagen aus, daß Thielemanns Schreie des Schmerzes und Hilferufe, stundenlang und straßenweit zu hören seien. Es gelang dem Eingreifen des Genossen Dr. Jasper, Thielemann später aus dem Gefängnis zu befreien. Thielemann ergriff die Flucht, um weiteren Folterungen zu entgehen. In Hamburg wurde er jedoch neuerlich verhaftet und auf einem Lastauto durch die Lüneburger Heide nach Braunschweig transportiert. Bei einem angeblichen Fluchtversuch wurde er angeschossen und anscheinend schwer verlegt. Das Dazwischentreten fremder Automobilisten rettete ihn vor Schlimmerem.


Über Otto Thielemann:

  • Mitglied im Vorstand Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Gau Braunschweig. Übernimmt 1928 die Redaktion der Beilage für den Gau Braunschweig der Zeitung „Das Reichsbanner“ Quelle: https://www.reichsbanner-geschichte.de/personen/person/thielemann-otto
  • „Von Oktober 1921 bis Oktober 1922 war er in Braunschweig Redakteur der USPD-Zeitung Freiheit. Anschließend arbeitete er von November 1922 bis 1933 als Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung Braunschweiger Volksfreund, deren Chefredakteur er zuletzt war. Thielemann war SPD-Ortsvereinsvorsitzender und seit 1929 im SPD-Bezirksvorstand. Weiter war er Vorstandsmitglied der Deutschen Friedensgesellschaft in Braunschweig und im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold aktiv. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Thielemann_(Politiker)
  • Redeabschrift von Otto Thielemann „Eine deutliche Sprache – Die Beamten und die Republik“ https://republikpolizei.de/archive/16652

Dr. med. Friedrich Lube

Der praktische Arzt Dr. med. Friedrich Lube, Mitglied des Bezirksvorstandes der Partei, wurde in seiner Wohnung überfallen. Gegen 20 Uhr läutete es an seiner Wohnungstüre. Seine Frau erkannte durch die Scheiben SS.-Mützen und öffnete nicht. Dr. Lube ging an die Türe und nun entwickelte sich folgendes Gespräch: „Was wünschen Sie?“ „Wir müssen Sie sprechen!“ Ich öffne Ihnen nicht!“ „Sie sind Arzt. Wir brauchen jemand zu verbinden!“ „Wenn Sie meine Hilfe als Arzt brauchen, so ist das etwas anderes. Bitte, treten Sie ein!“

Der Führer der SS.- Abteilung – anscheinend ein Intellektueller- fragte: „Sind Sie Dr. Lube?“ „Jawohl!“ Darauf rief er seinen Leuten zu: „Macht ihn fertig!“ Die SS.- Leute stürzten wie die Wilden über ihn her, und schlugen ihn. Seine Frau sprang dazwischen. Aber sie wurde auch mißhandelt. Dr. Lube wurde mit Knüppeln und Stahlruten auf den Kopf und in das Gesicht geschlagen, bis er bewußtlos liegen blieb. Dann verschwand der Trupp in einem Auto. Sofort nach ihrem Verschwinden erschien die ordentliche Polizei und nahm Lube und seine Frau in Schutzhaft.


Über Dr. med. Friedrich Lube:


Landtagsabgeordneter Poht

Der sozialdemokratische Landtagsabgeordnete Poth war der Kreisleiter der Partei im Kreise Holzminden. Er war Frontsoldat und mehrfach verwundet. Poth wurde in seiner Wohnung überfallen und vor den Augen seiner Frau grauenhaft mißhandelt. Seine Frau wurde an die Wand gestellt und mit Revolvern bedroht. So zwang man sie, die Folterungen ihres Mannes mit anzusehen, oder, wie einer der Peiniger sich ausdrückte, aufzupassen, was der Bonze für Grimassen schneidet“.

Nach unsäglicher Qual unterschrieb Poth die „freiwillige“ Erklärung, daß er seine Aemter niederlege, aus der Partei ausscheide und nie mehr politisch tätig sein wolle. Kaum hatte er die Unterschrift geleistet, wurde er nochmals furchtbar gepeitscht. In höchster Verzweiflung versuchte Poth, sich die linke Pulsader durchzubeißen, um so durch einen schnellen Tod seinen Peinigern zu entgehen. Da erst ließ man von ihm ab. Er wurde von seinen Angehörigen in das Krankenhaus gebracht.


Über Karl August Poth: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_August_Poth


Unzählige Bestialitäten

Zu Tode gequält

In Schöningen wurde Rektor Hermann Neddermeier, Führer der Kinderfreunde und der Arbeiterjugend im Freistaat Braunschweig, Frontsoldat, Kriegsbeschädigter, während des Unterrichtes im Beisein der Kinder überfallen, blutig geschlagen und eine hohe Steintreppe hinuntergeworfen. Dann wurde auf ihm herumgetrampelt, bis er besinnungslos war. Ein langes, schmerzhaftes Krankenlager war die Folge, völlige Wiedergenesung ist unwahrscheinlich. Die Bürgerpresse berichtete in diesem Falle, Neddermeier sei vor Angst die Treppe hinuntergefallen und habe sich dann mit blutendem Gesicht provozierend am Fenster gezeigt.


Über Hermann Neddermeier: eventuell: https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Neddermeyer


*

In Süpplingen wurden den Genossen nach fürchterlichen Schlägen Hakenkreuze in das Kopfhaar geschnitten.

In Langelsheim wurde der Postbeamte Wilhelm Grotehenn, ein kriegsbeschädigter Frontsoldat, buchstäblich zu Tode geschleift und getreten.

Als er schon nahe am Sterben war, wurde er noch wiederholt hoch gehoben und mit aller Wucht auf den Boden geschleudert. Er konnte seinen Angehörigen vor seinem Hinscheiden einige der Mörder bezeichnen. Eingeschritten wurde gegen sie nicht.


Über Wilhelm Grotehenn: keine Infos


In Seesen wurden Juden und Sozialdemokraten erbärmlich zugerichtet. Der jüdische Kaufmann Bremer wurde, weil er im Besitz einer Waffe gewesen sein soll, fast totgeschlagen und dann in das Seesener Gefängnis eingeliefert. Am andern Morgen fand man ihn erhängt auf.


Über den Kaufmann Bremer: Max Bremer


In Negenborn hat man neben vielen andern den Ortsvorsitzenden der Partei, den Arbeiter Fritz Groppe, einen Frontsoldaten, unmenschlich zusammengeprügelt. Als er auf dem Boden lag, wurde er in nicht wiederzugebender Weise verunreinigt.


Über Fritz Groppe:

  • Kinderturnwart im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Quelle: Bericht Kreistreffen Negenborn Zeitung Das Reichsbanner, Beilage für die Gaue … Freistaat Braunschweig vom 4.10.1930
  • 2. Vorsitzender des Reichsbanners war Willi Groppe. Quelle: Zeitung Das Reichsbanner, Beilage für die Gaue … Freistaat Braunschweig vom 25.01.1930

Stadtverordneter Matthias Theißen

Der Stadtverordnete Matthias Theißen, ein alter Frontsoldat, ein überaus kräftiger und tatenfreudiger Mann, war Geschäftsführer der Zahlstelle Braunschweig des Baugewerksbundes. Nachts drangen SA.-Leute, in seine Wohnung in der Schubertstraße ein. Sie fielen über ihn her. Seine Frau sprang hinzu und erhielt gleichfalls Schläge. Dann wurde der halbbewußtlose Theißen in das „Volksfreund“-Gebände geschleppt.

Man schlug ihn mit Knüppeln und Stahlruten in das Gesicht, auf den Kopf, auf den Mund und in die Augen, Dann zog man ihn über den Tisch und bearbeitete ihn stundenlang mit Fahrerpeitschen. Als die Schläger, von ihrer Arbeit ermüdet, eine Pause machten, fragten sie Theißen, ob er seinen Austritt aus der Partei und seinen Mandatsverzicht erklären wolle. Er antwortete: „Nein!“ Nun rissen die Folterknechte ihm das Zeng vom Leibe und peitschten ihn, bis ihm das Fleisch in Fetzen vom Leibe hing. Sie fragten ihn wieder, ob er die Erklärung abgeben wolle. Wieder antwortete er: „Nein!“ Sie gossen Salzwasser auf den zerschundenen Körper, in das blutige Fleisch. Darauf peitschten sie weiter. Theißen schrie auf: Ihr Hunde, wenn ihr mit totschlagen wollt, so gebt mir eine Pistole, damit ich mich selber erschießen kann.“ Wieherndes Gelächter antwortete. Dann brachte man einen Revolver, Theißen setzte ihn an die Stirn und drückte ab. Die Waffe knackte. Sie war aber leer. Unter viehischem Gejohle geht nach diesem Zwischenspiel die Auspeitschung weiter.

Am andern Tage war Theissens Körper eine einzige schwarzbraune, zerschundene, aufgedunsene, klebrige, blutige Masse. Er wurde gegen seinen Willen in das Katholische Krankenhaus in Braunschweig gebracht. Als er sein Ende nahen fühlte, gab er seinen Angehörigen und Freunden die vorstehende Schilderung. Und er fügte hinzu: „Ich habe im Volksfreund“-Hause die Genossen Wilhelm Rieke, Heinrich Simon, Friz Trute, Wilhelm Warnecke und andre auf Strohhaufen liegen sehen. Nur an ihrem Stöhnen konnte ich erkennen, daß noch Leben in ihren war.“

Zwei Wochen lang wälzte sich Matthias Theissen auf dem Krankenlager. Dann starb er.


Infos zu Matthias Theissen: https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Theisen


Der Herr Justizminister

Der SS.-Führer und Landtagsabgeordnete Rechtsanwalt Alpers sagte zu Theissen, bei dessen Folterung er seine Parteifreunde antraf: So, Matties, diesmal bist du noch gut davongekommen. Sagst du jemanden, daß du geschlagen worden bist, gehst du zum Arzt oder in ein Krankenhaus, so holen wir dich wieder.“ Die Drohung konnte nicht wahrgemacht werden, denn Theissen war wirklich gut davongekommen, nämlich in die Zuflucht des Todes. Aber Alpers wurde in Braunschweig Justizminister!


Infos zu Friedrich Alpers: https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Alpers




Weiter Quellen:

„Die Besetzung des Volksfreudhaus in Braunschweig am 09. März 1933“

Textauswahl aus Braunschweiger Tageszeitungen und weiterem Schrifttum aus Braunschweig von Gundolf Algermissen, Braunschweig


Broschüre (36 Seiten) „Terror in Braunschweig“ Aus dem ersten Quartal der Hitlerherrschaft. Bericht herausgegeben von der Kommission zur Untersuchung der Lage der Politischen Gefangenen. Zürich 1933


Zusammenstellung: Ralf Hermes, herral, 13.01.2025

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