Das Reichsbanner vom 01.03.1928 – Beilage für die Gaue Hannover, Freistaat Braunschweig, Bielefeld, Zeitung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Bund der republikanischen Kriegsteilnehmer e.V. Sitz Magdeburg
Hameln, 27.07.2024: Abschrift eines lesenswerten Quellendokument – Redeauszug des Braunschweigischen Innenminister Gustav Steinbrecher. Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold
Abschrift: Gau Braunschweig
Eine deutliche Sprache – Die Beamten und die Republik.
Von Otto Thielemann, M. d. L.
Bis zum,14. Dezember 1927 herrschte in Braunschweig eine Stahlhelmregierung. Deutschnationale Regierungsräte konnten unter ihren Fittichen gegen Republikaner intrigieren soviel sie wollten. Republikaner wurden verfolgt. Besonders der Obereregierungsrat Hartwieg und sein Kollege, der Regierungsrat Macke (beide Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei) suchten republikanische Oberbeamte dienstlich und moralisch unmöglich zu machen. Unter allerlei Vorwänden suchten sie die republikanisch eingestellten Kollegen „umzulegen“. Es dürfte z. B. nicht allen Reichsbannerkameraden bekannt sein, daß der jetzige Gauvorsitzende, Kamerad v. Frankenberg (Braunschweig) einmal ein Strafverfahren erhielt, weil er an einem Sonntag Flugblätter, die zur Beteiligung am Volksentscheid über die Fürstenabfindung aufforderten, verteilt hatte. Trotzdem die Staatsanwaltschaft sich weigerte, ein Strafverfahren anhängig zu machen und auch der zuständige Oberstaatsanwalt du Roi keinen Anlaß zum Einschreiten sah, hat Hartwieg wiederholt gedrängt, ein Verfahren anzustrengen. Auch republikanische Oberbeamte der Schutzpolizei (Klages und Brunke) wurden durch Hartwieg mit Strafverfahren — allerdings erfolglos — bedacht. Die Gründe waren so herbeigesucht, daß selbst der frühere Innenminister Lieff von seinem deutschnationalen Oberregierungsrat abrücken und im Untersuchungsausschuß erklären mußte, daß die Regierung das Vorgehen des Herrn Hartwieg nicht billige. Die beiden Oberbeamten wurden auch in jeder Instanz freigesprochen.
Nun haben wir in Braunschweig eine republikanische Regierung. Der günstige Wählausfall, an dessen Erringung das Reichsbanner stark beteiligt ist, hat eine sozialdemokratische Regierung zum Ergebnis gehabt.
Der jetzige braunschweigische Innenminister Steinbrecher (der übrigens auch dem neugewählten Gauvorstand des Reichsbanners in Braunschweig angehört) hat gleich in den ersten Tagen seiner Regierungstätigkeit die beiden deutschnationalen Beamten Hartwieg und Macke in den Ruhestand versetzt. Von den Gegnern der Republik hat man eingewendet, daß man sie doch nicht hätte zu pensionieren brauchen, sondern man hätte sie doch einfach versetzen können, wenn der Innenminister sie nicht mehr an der Polizei in Braunschweig haben wollte. Wir sind dagegen dem Innenminister für seine Handlung dankbar. Ein Beamter, der sein Amt nicht als Diener der Allgemeinheit, sondern nur als Sachwalter deutschnationaler Parteiinteressen auffaßt, ist an jeder Stelle schädlich. Besonders in dem kleinen Lande Braunschweig. An einer Kreisdirektion kann er genau so viel Schaden anrichten wie am Polizeipräsidium in Braunschweig.
Es war selbstverständlich, daß die Freunde der deutschnationalen Beamten diese Anordnung des Ministers kritisieren würden. Sie haben das jetzt auch im Landtag anläßlich der ersten Beratung des Haushaltsetats getan und sich — dabei eine Abfuhr geholt, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigläßt.
Die grundsätzliche Stellung der braunschweigischen Regierung zur Personalpolitik ist so außerordentlich wichtig, daß ich die Rede des Innenministers Steinbrecher im Auszug, hierunter folgen lassen will.
Kamerad Steinbrecher sagte auf die deutschnationalen Anzapfungen:
„Wir stehen auf dem Standpunkte, daß der Beamte selbstverständlich seine Überzeugung, seine politische Überzeugung, allüberall zum Ausdruck bringen kann. Das eine aber muß man von einem Beamten verlangen, auch wenn er Volksparteiler oder Deutschnationaler ist oder sonstwo rechts steht, daß er sich im Dienst auf alle Fälle korrekt benimmt und Äußerungen unterläßt, die geeignet sind, die freistaatliche Verfassung oder seine Regierung in der Oeffentlichkeit herabzusetzen und, wenn sie irgendwie aus politischen Gründen verächtlich zu machen versucht wird, daß er sich das entschieden verbittet. Auch außerhalb des Dienstes muß man verlangen, daß ein Staatsbeamter bei der Kritik der freistaatlichen Verfassung und seiner Regierung stets sachlich bleibt. Wir sind der Ueberzeugung, daß wir Kritik vertragen können, aber beleidigend darf die Kritik nicht werden, sonst werden wir selbstverständlich diese Beamten nicht im Interesse unsers persönlichen Ansehens, sondern im Interesse des Ansehens des republikanischen Amtes ohne weiteres zur Verantwortung ziehen. Ich sage hier ganz offen: Wenn wir als sozialdemokratische Partei bei den Wahlen im Jahre 1924 in weiten Kreisen der Arbeiterschaft und auch des Bürgertums so schleckst abgeschnitten haben, dann war mit Schuld daran, daß wir in bezug auf die Personalpolitik nicht scharf genug durchgegriffen haben. (Lebhaftes Sehr richtig! links.) Ich erkläre weiter, daß ich, als wir früher noch in der Regierung waren, einer von denen gewesen bin, die immer und immer wieder von dem Standpunkt ausgingen: Man wird einer ganz bestimmten Gruppe von Beamten doch noch Anstand und Achtung abnötigen, wenn man als Minister in bezug auf die politische Betätigung den Herren möglichst weitherzig entgegenkommt und manches übersieht. Das ist als Schwäche ausgelegt worden. (Abg. Thielemann: Sehr richtig!) Wir sind ausgelacht worden, wir haben uns überzeugt durch die Stimmung im Lande. Ich sage den Herren von rechts weiter: Alle unser Redner, wie sie hier sitzen, ich selbst mit einbegriffen, haben in jeder Wahlversammlung ganz klipp und klar erklärt: Wenn wir wieder da oben sitzen, dann wird eine andre Personalpolitik getrieben. Die Republik muß dem Republikaner ebenfalls gehören. Wir Sozialdemokraten wissen ganz genau, daß es Unsinn wäre, von den Beamten zu verlangen, daß sie jedesmal, wenn eine andre Regierung kommt, ihr politisches Hemd wechseln sollen. Genau wie Sie stehen wir auf dem Standpunkte, daß der Beamte, der mit jeder Regierung seine politische Ansicht wechselt, nicht der beste ist. (Sehr richtig! links.) Sie haben das in Ihrer Amtszeit erfahren, und wir haben das auch erfahren. Ich gebe ja ohne weiteres zu, daß eine ganze Anzahl, ja die übergroße Mehrzahl der Beamten rechts organisiert ist, also zu den Deutschnationalen oder der Volkspartei zählen und die, obwohl sie andrer Ueberzeugung sind als die Republikaner, ihren Dienst gewissenhaft tun und sich nicht einfallen lassen, die republikanische Staatsform zu mißachten oder durch unbedachte Aeußerungen lächerlich zu machen. Solche Beamten wird es immer geben und kann es auch geben und soll es geben. Wir Sozialdemokraten können nicht verlangen, daß jeder Beamte Sozialdemokrat ist; so schlau sind wir selbst. Aber das sagte ich schon,
wir verlangen, daß der Beamte, wenn er im Dienst ist, seinen Staat verteidigt und die Staatsform, auch wenn es ihm schwerfällt.
Meine Herren, nachdem Sie nun einmal vor drei Jahren das Programm aufgestellt haben, ein Sozialdemokrat darf nicht Einfluß auf die Regierung bekommen, bleiben wir dabei, daß wir versuchen werden, überall dort, wo gute, brauchbare Republikaner sind, sie zur Unterstützung der Republik heranzuziehen. Heute sage ich, meine Herren. Sie können in der Personalpolitik schreiben und reden so viel sie wollen, handeln tun wir.“ (Stürmischer Beifall und Händeklatschen links.)
Das sind erfrischende Worte, die nicht nur im kleinen braunschweigischen Lande Widerhall finden sollten. Kein Wunder, daß man Kamerad S t e i n b r e c h e r, als er gesprochen hatte, mit stürmischem Händeklatschen dankte. (Es war das erstemal, daß im Braunschweigischen Landtag einem Redner diese spontane Beifallsbekundungen zuteil wurde.)
Möchten sich alle Beamten nach dieser Rede richten. Die Rede enthält das, was ein Republikaner gern einmal ausgesprochen hört. Uns Republikaner leitet kein Haß gegen andersdenkende Beamte. Wir sind aber allerdings der Meinung, daß die politisch wichtigen Posten der Republik nur Republikanern anvertraut werden dürfen, und daß unsre Geduld gegen monarchistische Treibereien (die gleichbedeutend mit d e u t s c h n a t i o n a l e n Treibereien sind) endlich erschöpft ist.
Besonders wichtig ist an dieser Rede, daß sie in Braunschweig gesprochen werden konnte! Braunschweig wurde 3 Jahre lang von einer Stahlhelmregierung beherrscht. Jetzt bestimmen Republikaner die Geschicke Braunschweigs. Daß es so kommen konnte, danken wir mit der unermüdlichen Arbeit unserer Reichsbannerkameraden. Die Rede des Kameraden Steinbrecher im Braunschweigischen Landtag ist ein Markstein auf dem Wege, den das Reichsbanner schreitet. Sie wird uns auch ein Ansporn sein, nicht müde zu werden, sondern vorwärtszudrängen, bis uns ein ganzer Sieg geworden ist. —
Über Gustav Steinbrecher:
https://www.reichsbanner-geschichte.de/personen/person/steinbrecher-gustav
Redeabschrift 1928:
Wickipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Steinbrecher