Bericht über einen Vortrag von Dr. Peter Schulze am 17.02.2023 im Stadteilzentrum Lister Turm zum Feuerüberfall der SA auf eine Formation des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold.
Hannover, 17.02.2023: Rund 40 Interessierte waren erschienen und folgten den Ausführungen des Historikers Dr. Peter Schulze zu den Ereignissen rund um den 21. Februar 1933 am Lister Turm in Hannover. Schulze erläuterte zunächst den historischen Grundbezug: Die Revolution, die aus seiner Sicht treffender als Zusammenbruch des Kaiserreiches zu beschreiben ist. Die Weimarer Republik führt mit Schwarz-Rot-Gold die neuen Farben als Zeichen der Demokratie ein. Die Gesellschaft behält gleichzeitig aber auch die alten Farben des Kaiserreiches Schwarz-Weiß-Rot. Der Völkische Block steht gegen die internationalistische Arbeiterschaft, die aus Sicht der Rechtskonservativen daher „nicht deutsch“ sei. Schulze erläutert dann die Gründung der „Harzburger Front“ mit ihren Akteuren u.a. Hugenberg und Hitler, in der die NSDAP aber die Speerspitze der Bewegung wurde. Die Doppelstrategie der Parteiakteure von Straßengewalt und parlamentarischer Arbeit war letztendlich erfolgreich. Hier klar der Hinweis – erklärtes Ziel war die Abschaffung der Republik. Schulze verdeutlicht mit drastischen Zitaten aus SA Liedern wie offen Gewalt und Hass damals kommuniziert wurden.
Die SPD habe schon 1930 die Strategie der NSDAP klar beschrieben. „Die wollen nicht demokratisch regieren“. Als Gegenmaßnahme der Republikaner beschreibt Schulze die Gründung der Eisernen Front. Diese protestiert mit Worten und Aufmärschen, ihre Führer aus Reihen der SPD propagieren den geistigen Kampf mit Ruhe und Besonnenheit. Im Kontrast dazu, so Schulze, der Propagandaleiter der NSDAP in Hannover „In Debatten lassen wir uns nicht ein – wir rechnen ab!“ Auf dieser Basis schildert Schulze dann minutiös seine Rekonstruktion der Ereignisse am 21.02.1933. Ein Quellendokument ist eine Beschreibung der Vorgänge in der hannoverschen Tageszeitung „Volkswille“ vom 23.02.1933. Er beschriebt das Agieren des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dessen technischer Leiter Alfred Jahn den
Marsch der SA zum Lister Turm bemerkte. Am Ende steht der Feuerüberfall auf die Schutzformation des Reichsbanners aus dem Dunkel des Parkes auf die im Licht einer Bogenlampe deutlich sichtbaren Reichsbannermänner. Das Reichsbanner hatte von der mittlerweile durch Hermann Göring als preußischem Innenmister geführten Polizei, an der Spitze in Hannover stand der SA-Führer Lutze, keine Hilfe zu erwarten. Der Polizeibericht zur politischen Mordtat vernebelt die Vorgängen und benennt die Täter nicht. Dr. Schulze benennt Zeitzeugenschilderungen, die sich an die Blutlachen der Verletzten in den Fluren des Lister Turms erinnerten. Beschrieben werden aber auch die Schikanen der Polizei bei den Trauerfeiern für die beiden ermordeten Reichsbannermitglieder Heese und Großkopf. Stark reglementierend sei eingegriffen worden, das Spielen von Trauermusik und Fahnen verboten worden. Als ein Beispiel hätten Polizisten die rote Schleife von dem Trauerkranz einer Reichsbannergruppe gerissen.
„Wer die Macht hat, hat das Recht“ – so Dr. Schulze mit einem Zitat aus einem Zeitzeugeninterview als Zustandsbeschreibung der Zeit. In einem späteren Zeitzeugengespräch hieß es: „Ich war im Reichsbanner und als Schluss war, habe ich das Maul gehalten. Was willst du machen.“
Die „bürgerliche Presse“ der Stadt übernahm die Schilderungen der Polizei und vermied jeden Hinweis auf die Täterschaft. Einzig der Volkswille berichtete ausführlich über die Ereignisse und auch die Trauerfeierlichkeiten. Kurze Zeit später wurde auch er verboten.
Kurz geht Dr. Schulze dann auf die Zeit nach 1945 ein. Für die Arbeiterschaft in Hannover waren die Ereignisse am Lister Turm prägend. Gleich nach Kriegsende versuchten SPD-Anhänger Ermittlungen zu den Tätern des Geschehens auszulösen. Zumindest zwei namentlich bekannte SA-Mitglieder hatten sich in Gesprächen über ihre Teilnahme an dem Überfall ausgelassen. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Am Lister Turm aber gibt es immer wieder Gedenkveranstaltungen gegen das Vergessen. 1976 wurde die auch jetzt noch vorhandene Gedenktafel eingeweiht.
Zum Ende des Vortrags gibt es eine kurze Aussprache zur Frage von Gewalt und Gegengewalt und die Rolle der SPD. Zu konkreten Bezügen im Agieren der AfD heute wollte Dr. Schulze nicht eingehen. Er habe die historischen Ereignisse beschrieben. Die Schlussfolgerungen daraus für heute müsse jeder selber ziehen.
Mein Fazit: Ein spannender, informationsreicher, betroffen machender Abend, der viel Stoff für Diskussionen über die Notwendigkeit einer wehrhaften Demokratie liefert. Die Gewaltenteilung, das Gewaltmonopol des Staates, die Unabhängigkeit der Gerichte, Begrenzung des politischen Einflusses auf die Exekutive, der Vorrang von Recht und Gesetz. Für uns selbstverständlich und dennoch ist es das nicht.
Ralf Hermes
* Zitat ehemals aus dem „Heckerlied“, welches von der SA umgedichtet wurde.
Weitere Berichte zu vergangenen Gedenkveranstaltungen siehe
Bericht als PDF:
herral, 18.02.2023
Bildkorrektur und eine kleine Textänderung am 19.02.2023
Ein Gedanke zu „„Blut muss fließen knüppelhageldick*““