Hameln, 11.07.2022: Erwin Barth war u.a. Polizeipräsident in Altona und später in Hannover. Ein lesenswerter Artikel in der Zeitung „Das Reichsbanner – Beilage für die Gaue Hannover und Freistaat Braunschweig“ beschäftigt sich mit einem Vortrag von ihm zur Polizei in der Weimarer Republik. Erschienen in der Ausgabe des 1. April 1927.
Demnach sprach im 2überfüllten und mit den republikanischen Farben geschmückten Saale des Volksheims in Hannover der Polizeipräsident Kamerad Erwin Barth (Altona) und führte etwa folgendes aus (Abschrift Zeitungsartikel):
„Der Durchschnittsbürger der Republik stellt sich unter dem Begriff Polizei einen Haufen von uniformierten Menschen, die Gott in seinem Zorn geschaffen und auf die Bürger losgelassen hat, vor. Im alten Staate war die Polizei eine für diesen notwendige Einrichtung, die für das Wohl des Staates zu sorgen hatte, um das Wohl und Weh des Staatsbürgers kümmerte sie sich nicht. Die Beurteilung der jetzigen Polizei und ihrer Tätigkeit, nur von der auf der Straße ausgehend, genügt nicht, um sie richtig zu würdigen. Die gesamte Oeffentlichkeit, Handel und Wandel, braucht nicht nur Schutz, sondern auch Sicherheit. Drohende Gefahren müssen rechtzeitig abgewendet werden. Die Tätigkeit auf der Straße ist nur ein kleiner Teil der Gesamttätigkeit der Polizei. Sie ist auf vielen Gebieten beschäftigt, z.B. als Sitten- , Gesundheits-, Kriminalpolizei usw. Diese Gebiete müssen bei der Beurteilung mit berücksichtigt werden.
Die Polizei ist ein Organ der Staatshoheit. Im alten Staate galt das Volk als eine Summe Menschen, und wurde besonders als Steuerzahler beachtet. Seine materiellen und geistigen Interessen fanden jedoch keine Berücksichtigung. Er war Untertan, und sein Glück ordnete die Obrigkeit, dabei hatte diese die Einnahmen als erstes im Auge, und die Polizei war dabei ihr Büttel. Rücksichten auf das Volk gab es nicht. Die Polizei war gezwungen, das von oben Befohlene einseitig durchzuführen. Die Existenz der einzelnen Polizeibeamten hing von der größern oder geringern Schneidigkeit ab, mit der die Befehle durchgeführt wurden. Vor dem Kriege war es undenkbar für den Polizeibeamten, eine eigne politische Meinung zu haben, die sich nicht mit der der Obern deckte. Es hieß nur gehorchen. Das Gehorchen ist auch heute noch nötig Es ist jedoch ein großer Unterschied zwischen den Gehorchen von früher und heute. Heute hat auch der Polizeibeamte das Recht, eine eigne politische Meinung zu vertreten und an der Gestaltung der öffentlichen Interessen mitzuwirken. Die Staatsgewalt geht vom Volke aus, und es bilden sich Zellen, die mitgestaltend wirken. Am Ergebnis der Wahlen kann der Durchschnitt der Volksmeinung abgelesen werden, mit der Abgabe des Stimmzettels übergibt jeder seinen Anteil an der Staatsgewalt für die Wahlperiode an einen Abgeordneten, ohne diese Willensmeinung wieder rückgängig machen zu können. Darin liegt schon der große Unterschied gegen früher. Früher erhielt die Polizei ihren Auftrag von der Obrigkeit, jetzt vom Volke durch die Abgeordneten. Daher ist die Polizei jetzt ein unmittelbares Organ des Volkes, dessen Auftrag sie ausübt.
Die Frage, ob sich die preußische Polizei als Beauftragte des Volkes fühlt, muß mit einem unbedingten Ja! beantwortet werden. Wer Einsicht in die Verhältnisse der Polizei hat, weiß, daß diese Männer zu ihrem Eide, den sie auf die Verfassung geleistet haben, stehen. (Brausender Beifall.) Hier gibt es keine Reichswehrspielerei. Severing, der frühere Minister des Innern in Preußen, hat bewiesen, wie der Geiste der Verfassung geweckt werden kann, ohne das die Interessen darunter leiden. Geßler soll bei Severing in die Lehre gehen, um diesen Geist auch in der Reichswehr einzuführen. Wenn nun noch bedauerliche Vorkommnisse des einzelnen Beamten zu verzeichnen sind, dann soll von diesen nicht auf das Ganz geschlossen werden. Wenn der Schutzmann auf dem Plakat ins Schaufenster gehängt werden kann, ohne daß es als Brüskierung empfunden wird, dann zeigt das schon, daß das Verhältnis zwischen Polizei und Volk ein andres, besseres geworden ist. Es handelt sich nicht darum, ob der eine oder der andre nicht fest auf republikanischem Boden steht, so bedauerlich das ist, sondern darum, wie das Ganze anzusehen ist. Die Polizei ist eine Organisation, um die Republik zu schützen und dabei mitzuhelfen, sie mit sozialem Inhalt zu erfüllen, damit wirklich von einer sozialen Republik gesprochen werden kann. (Anhaltender Beifall. ) Für uns als Republikaner ist der Wille des Volkes das oberste Gesetz, und dieses oberste Gesetz durchzuführen, ist Polizei und Volk gemeinsam berufen. Beide müssen sich nur zur Durchführung einer gemeinsamen wirklichen und wahren Volkspolitik in eine Front stellen. (Brausender Beifall belohnte den Redner)“
Original Zeitungsartikel
Quelle unter Zeitungen auf reichsbanner-geschichte.de:
Zu Erwin Barth gibt es folgenden Wikipedia-Eintrag:
https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Barth_(Politiker)
Da Erwin Barth in dem Artikel des Reichsbanners mit „Kamerad“ angeredet wird, kann davon ausgegangen werden, dass er Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war.
herral, 11.07.2022