Buchvorstellung: „Vom Werden der deutschen Polizei“ (1937)

Kurzfazit: Ein NS-Ideologiebuch, welches die Geschichte der Polizei aus dem Blickwinkel des Nationalsozialismus beschreibt. Auf dieser Basis dennoch ein interessantes Buch, um zu verstehen, wie die Ideologie der NSDAP und des Führerstaates auf die Polizei übertragen wurde.

Infos zum Buch, welches antiquarisch erhältlich ist:

Erschienen 1937 im Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig. Ein „Volksbuch“ von Roland Schoenfelder, Hauptschriftleiter der Zeitschrift „Der Deutsche Polizeibeamte“, Karl Kasper und Erwin Bindewald.

Roland Schoenfelder ist der Hauptautor. Eine Internetrecherche ergab keine sofort weiterführenden Treffer. Vielleicht gibt es eine Verbindung zu einem SS Hauptsturmführer (01.01.1938) mit gleichem Namen, Geburtstag 04.01.1903 in Altdamm (Quelle: Link zur Person und Link zur Einheit)

Die benannte Zeitschrift „Der Deutsche Polizeibeamte“ war von 1933-1937 das amtliche Organ des Kameradschaftsbundes Deutscher Polizeibeamten E-V., Berlin, eine NSDAP-Organisation. (Quelle: Link).

Das Buch muss im Kontext der nationalsozialistischen Ideologie und Lehre gesehen werden.


Die künstlerische Ausstattung des Buches (200 Zeichnungen und vierfarbige Tafeln) stammt von Erwin Bindewald, Berlin. Bindewald und Karl Kasper haben 1950 noch ein weiteres Buch („Bunter Traum auf gewebtem Grund. Aus der Wunderwelt des Stoffdrucks“) herausgegeben. (siehe: Link)

Der Verlag Breitkopf & Härtel in Leipzig ist ein Musikverlag mit heutigem Sitz in Wiesbaden, Leipzig und Paris. Es gibt einen ausführlichen Wikipedia-Eintrag zum Verlag. Hier der Auszug zu seinem Wirken in der Weimarer Republik und der NS-Zeit:

„1934 erschien bei Breitkopf & Härtel das Buch „Polizei greift ein“[1] Der damalige Reichsinnenminister Wilhelm Frick widmete in seinem Vorwort das Buch dem Andenken der „im Kampf gegen den Kommunismus und das übrige Verbrechertum gefallenen Polizeibeamten“, die als Nationalsozialisten gestorben seien und „ihre Treue zu Volk und Vaterland mit dem Tode besiegelt“ hätten. Fricks Wunsch: Das Buch möge „jungen Polizeibeamten ein Ansporn sein, es jenen gleichzutun, die das Wort vollendeten: Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen!“ Zwei Jahre später begann dann der Verlag mit der Veröffentlichung des „Jahrbuchs der deutschen Luftwaffe“, herausgegeben vom Reichsluftfahrtministerium. Die Jahrbücher erschienen zwischen 1936 und 1942.[2] Beide Publikationen im Geiste des Nationalsozialismus waren kein Zufall, denn Verlagsleiter Hellmuth von Hase hatte sich den Machthabern schon frühzeitig angedient: Er war am 13. Mai 1933 anlässlich der Bücherverbrennung Mitunterzeichner einer Erklärung im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, in der zwölf von den Nazis verfemte Autoren als „schädigend“ eingestuft wurden – darunter Alfred Kerr, Heinrich Mann und Erich Maria Remarque.[3] 1939 verlegte Breitkopf & Härtel Richard Wagners antisemitische Schrift Das Judenthum in der Musik.[4] Über diesen Teil der Verlagsgeschichte erfährt man auf der Webseite des Verlags auch 2019 nichts, obwohl in dem Jahr das 300-jährige Bestehen groß gefeiert wird. Ein Verlagsvertreter bekannte lediglich, dass die Zeit des Nationalsozialismus „in den einschlägigen historischen Publikationen bis dato eigentlich ein bisschen stiefmütterlich weggekommen ist!“[3]

Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Breitkopf_%26_H%C3%A4rtel


Im Vorwort der Autoren heißt es (Auszug):

„Dieses Buch erscheint in einem Zeitpunkt, da die Geschichte der deutschen Polizei in einen neuen entscheidenden Abschnitt getreten ist. Wir haben endlich die deutsche Reichspolizei. Ihre Einrichtungen und Angehörige sind im Volksstaat nicht mehr Werkzeuge einer „Obrigkeit“, sondern mehr denn je Angelegenheit des Volksganzen. So übergeben wir denn der deutschen Öffentlichkeit dieses Buch mit dem Wunsche, daß der Leser… Allen Angehörigen der Polizei aber möge es dadurch, daß es ihnen den Wandel der polizeilichen Aufgaben und der Formen, in denen sie jeweils wahrgenommen wurden, veranschaulicht, den Aufstieg ihres Berufes in der allgemeinen Wertschätzung verdeutlichen und sie darauf stolz machen, Träger dieses für das Volksganze so wichtigen Amtes zu sein. … „


Das Buch hat 314 Seiten im Format von 22 cm Breite zu 30 cm Höhe. Es gliedert sich in fünf Abschnitte (A-F). 200 Strichzeichnungen und mehrere Farbtafeln mit Uniformdarstellungen ergänzen den Text.

Hier soll lediglich auf den Abschnitt ab 1919 bis 1935 (Seiten 285 bis 305) etwas näher eingegangen werden: Überschrieben ist dieser Abschnitt F mit dem Titel „System-Polizei“:

Auszug Seite 285: „Zusammenbruch – Ordnungshüter und Ordnungsfeinde in der Novemberrevolution“

In den hier gemachten Erläuterungen findet sich gleich zu Anfang die Ideologie der „Dolchstoßlüge“ wiedergegeben.

„Vier Jahre Kampf gegen eine waffenstarrende Welt hatten die tapferen deutschen Soldaten an allen Fronten siegreich durchgestanden und beispiellose Ruhmestaten vollbracht. Aber die unerhörten Opfer an Blut und Gut schwächten den Volkskörper so sehr, daß er sich dem Gift der Zersetzung, das durch tausende und abertausende Kanäle an ihn herangetragen wurde, nicht mehr mit voller Kraft zu widerstehen vermochte. … Die Januarunruhen des Jahres 1918, Munitionsarbeiterstreiks und gelegentliche Lebensmittelkrawalle konnten unterdrückt werden. Auf das Pflichtbewußtsein der dabei eingesetzten Polizeibeamten konnten sich Regierung und Stadtverwaltung nach wie vor verlassen, obgleich diese Männer unter den Entbehrungen der Kriegszeit mehr litten als große Teile der übrigen Bevölkerung. Der jugendliche Munitionsarbeiter stand sich einkommensmäßig bedeutend besser als ein im Dienst ergrauter Wachtmeister. Nicht wenige von ihnen verrichteten ihren Dienst statt in Lederschuhen in Holzsandalen. Auf der Uniform saß ein Flicken neben dem anderen. Die Preise für Lebensmittel und andere Güter stiegen, das Beamtengehalt blieb auf seiner Friedenshöhe. Die Beamten taten unbeirrbar und unbestechlich ihren Dienst weiter, nicht selten mit knurrendem Magen. Von der Hindenburgspende, die dazu diente, in erster Linie die Industriearbeiterschaft mit zusätzlichen Lebensmitteln zu versorgen, fiel nichts für sie ab.“

Anmerkung: Es ist im gesamten Text auffällig, wie die Arbeit des Polizeibeamten an sich idealisiert und gleichzeitig eine Abgrenzung hier zur Arbeiterschaft aufgezeigt wurde, der es demnach ungleich besser ging. Das dürfte mit einem großen Fragezeichen zu versehen sein.

Im Folgenden werden dann die neuen Regierungsträger bewertet:

„Die neuen Männer hatten sich von Kräften nach oben schwemmen lassen, die sie selbst nicht zu meistern wußten. Die von ihnen dargestellten Regierungen waren keine. … Auf den Straßen der Städte tobte entfesseltes Untermenschentum. Ausländische Beobachter waren entsetzt über diesen „moralischen Zusammenbruch“ eines Volkes, das in den Augen der Welt bis dahin für vorbildlich diszipliniert gegolten hatte. Aber das, was jetzt vom Morgen bis zum Abend auf der Straße lag, Kokarden und Achselstücke abriß, rote Fahnen schwenkte, großmäulige Ansprachen hielt, Requisitionen durchführte und verhaftete – war dies denn das deutsche Volk? Es war der Mob, den es zu allen Zeiten geben wird, dem aber die neuen Männer, weil sie sich auf ihn zu stützen meinten, die Straßen freigegeben hatten. … Die Polizei spielte in diesen Wochen keine große Rolle, konnte sie auch nicht spielen. Dazu fehlte es an einer Obrigkeit, die gewußt hätte, etwas mit diesem Instrument anzufangen. Die Polizeipräsidenten hatten neue „Führer“ erhalten.

In diesem Stil wird dann die Geschichte der Revolution weiter beschrieben.


Es folgt der Abschnitt: „Unter Schwarz-Rot-Gelb – Der Gummiknüppel als republikanisches Symbol“ (Anmerkung: beachte – gelb nicht gold.)

Zunächst werden hier die Auswirkungen des „Friedensdiktates“ mit dem Ziel von Deutschlands Entmachtung für alle Zeiten und die Umorganisation der Polizei beschrieben.

Zitate:Anscheinend hielt man es in rachsüchtiger Verblendung für erwünscht, wenn unser Vaterland durch fortgesetzte innere Unruhen noch weiter geschwächt wurde.

„In der Geburtsstunde der deutschen Nachkriegspolizei hatte also offensichtlich kein Glücksstern geleuchtet. Dies sollte sich dann auch in der Folgezeit unausgesetzt erweisen. Das große Unglück bestand darin, daß diese Schutzpolizei des November-Systems wieder durch eine tiefe Klut von der übrigen Bevölkerung geschieden war. Von rechts begegnete man ihr mit Mißrauen, weil sie nach Lage der Dinge als Schutzgarde der schwarzrotgelben Republik auftreten mußte, von links schlug ihr ein fanatischer Haß entgegen, weil sie das Hindernis auf dem Weg zum knallroten Sowjet-Deutschland darstellte.“

Anmerkung: Es folgt wie ein roter Faden die ideologische Vereinnahmung der „Republikpolizisten“ in der Mehrzahl.

„Dabei waren, von vereinzelten schwarzen Schafen abgesehen, die „Schupos“ gute Deutsche, die oft genug nur mit innerem Widerwillen sich für die Bütteldienste hergaben, die ihnen infolge des Versagens der Koalitionsregierungen aller Schattierungen aufgezwungen wurden. Noch war die Zeit nicht reif zu einem entschiedenen Frontwechsel, noch erschöpfte sich das deutsche Volk im Brudermord. … Da konnten die Angehörigen der Polizei sich mit feineren politischen Überlegungen nicht aufhalten. Für sie galt es, zu retten, was zu retten war, die zerstörerischen Mächte niederzuhalten und mit zusammengebissenen Zähnen dadurch leider auch den Herren Parteibuch-Minister ihre Sessel zu sichern. Wie stark mußte das Pflichtgefühl dieser Männer sein, daß sie unter Verleugnung ihrer Abneigung gegen die Dilettanten am Staatssteuer mutig und unbeirrt der einen, großen Aufgabe dienten: Deutschland nicht untergehen zu lassen.“


„Als wäre es mit diesem separatistischen Jammer nicht genug gewesen, raste mörderischer politischer Kampf, Verbrechen und Not bis zum Übermaß durch das Land. Große Teile der Jugend waren unbeschreiblich verwahrlost. Dies war kaum zu verwundern: Die Revolution hatte geradezu naturnotwendig zur Zerstörung vieler sittlicher Bindungen geführt. Infolge der Aufhebung der Zensur ergoß sich eine Schlammflut von Dreck und Gemeinheit in alle Kanäle des geistigen Lebens. Presseerzeugnisse übelster Art, Schundfilme, die an die niedrigsten Instinkte appellierten, Tingeltangel, die sich jetzt Kabarett nannten und mit Nackttänzen Besucher in ihre Musenställe zu locken versuchten, Rauschgifthandel, eine freche Werbung für die Homosexualität, alles dies stürmte nicht nur auf die durch Krieg und Revolution seelisch aus dem Gleichgewicht geratene erwachsene Menschheit ein, sondern vergiftete auch die jugendlichen Gemüter.“

„München sah im November den nationalsozialistischen Aufstand ausbrechen, der zwar schon damals in Millionen Herzen die Hoffnung auf eine radikale Änderung aufkeimen ließ, aber an Verrat und weil die Stunde der Befreiung schicksalsmäßig noch nicht geschlagen hatte, zerschellte. Das Regime war noch einmal gerettet, leider auch mit Hilfe der Polizei, die auch in den folgenden Jahren den Gummiknüppel, eine Errungenschaft der Nachkriegszeit und damit ein Symbol der Republik zugleich, auf Geheiß ihrer obersten Führungen noch oftmals gegen nationaldenkende Deutsche schwingen mußte. In Preußen war es namentlich der Innenminister Severing, der die Polizei zum Werkzeug der republikanischen Politik machte, unterstützt darin in der Hauptsache von seinem Staatssekretären Abegg und Weißmann, sowie von den verschiedenen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten und Landräten und einigen charakterlosen Strebern im Polizeioffizierkorps. Diese Leute handelten durchaus im Sinne und der Parole „Der Feind steht rechts“ und waren mit Feuereifer dabei, wenn es galt, Bewegungen zu ersticken, die irgendwie vaterländisch waren.“

„In Berlin war „Zörrgiebel-Kosaken“ eine der gehässigsten Bezeichnungen, mit denen die Schupos belegt wurden und ihnen die Schamröte ins Gesicht trieb. Sie wußten, an diesem Schimpfwort war etwas Wahres. Die roten Bonzen waren durchaus willens, die Männer in der blauen Uniform mit Gummiknüppeln und Maschinengewehr auf das Volk zu hetzen, um sich ihre eigene, bereits wacklig gewordene Stellung zu erhalten.“

Ich denke diese Zitate reichen, um die Sprache und das Gedankengut im nationalsozialistischen Rückblick auf die Zeit der Weimarer Republik zu beschreiben. Das Buch hat bei einem etwas allgemeineren Wissen um die Ereignisse rund um die Polizei in der Weimarer Republik seinen Wert in Verdeutlichung der nationalsozialistischen Denkweise und Geschichtsdeutung. Zudem bietet ist emotionalisierte, wertende Sprache des Buches einen interessanter Einblick, auch durch die Art der Vereinnahmung der Polizei für die eigene Geschichtsinterpretation der Nationalsozialisten.

Der letzte Abschnitt: „Ausklang“ wird überschrieben mit „Endlich Volkspolizei“, dazu das Bild eines Polizisten mit Stahlhelm, Seitengewehr statt Gummiknüppel und der neuen Polizeifahne mit Hakenkreuz.

„Der Wille der Staatsführung hat dieser Polizei eine neue Daseinsgrundlage gegeben: Sie ist nationalsozialistisch und damit dem Volke nicht gegenübergestellt, sondern auf das Innigste verbunden. Das ewig sich erneuernde Leben kann und wird vielleicht der deutschen Polizei in der Zukunft die eine oder andere Änderung und Neuerung bringen. Ihr Grundzug aber, Volkspolizei zu sein, wird als eine der Errungenschaften, die aus neuem, unvergänglichem völkischen Fühlen geborgen sind, nicht verlorengehen können. Dafür bürgt die Schulung der Polizei in nationalsozialistischem Ideengut, wie sie sich in den von Reichsminister Dr. Frick am 19. Januar 1035 verkündeten zehn Grundsätzen verkörpern…“


Wir wissen heute alle, dass diese Grundsätze zu unbeschreiblichen Verbrechen auch durch Polizeibeamte im NS-Regime geführt haben.


Als „Geschichtsbuch“, welches Wissen vermittelt ist dieses nationalsozialistische Druckwerk ungeeignet. Als Mahnung, als Mittel zum Verstehen der Stimmung einer Zeit aber mag es auch heute noch von Nutzen sein. Das ideologische Gift von Hetze, Vereinnahmung und Heroisierung tropft gerade in den letzten Seiten quasi spürbar aus dem Buch.


Zusammenstellung am 11.04.2021 – Ralf Hermes

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