Über Facebook bin ich auf eine alte Fahne des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, Ortsgruppe Rinteln an der Weser gestoßen. Der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Schaumburg, Carsten Ruhnau, ermöglichte mir einige Fotoaufnahmen zu machen. Zudem überreichte er mir Unterlagen zur Geschichte des Reichsbanners in Rinteln.
Eine Spurensuche:
Die Fahne ist aus schwerem, doppellagigem Stoff gefertigt. Goldfransen umrahmen drei Seiten. Die hochwertige Bestickung ist auf beiden Seiten leicht unterschiedlich. Die Fahne hat lediglich an der unteren Aufhängung zwei kleine Schäden und ist ansonsten in einem sehr guten Zustand. Zu ihr gehört eine auseinanderschraubbare Tragestange mit Reichsbanner-Spitze.
Die Gegenstände sind im Besitz des SPD Ortsvereins Rinteln. Über ihre Geschichte gibt es derzeit keine gesicherte Überlieferung. Gerüchte sagen, die Fahne habe versteckt / vergraben die Zeit des Nationalsozialismus nach 1933 überstanden und sei dann der SPD in Rinteln übergeben worden. Zeitzeugenschilderungen sind nicht bekannt.
Zuletzt zum Einsatz kam die Fahne anlässlich der Verlegung eines Stolpersteines für den Rintelner Sozialdemokraten und örtlichen Reichsbannerführer Wilhelm Ramm im März 2017.
Nachfolgend eine Infosammlung über das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Rinteln.
In dem Buch „Rintelns Demokraten“ des Rintelner Historikers Kurt Klaus heißt es auf den Seiten 77 bis 79:
„Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ist eine Gründung der Sozialdemokraten Höringer und Höllermann. Es wurde 1924 als Kampfeinheit gegen die rechten Wehrverbände aufgebaut. Seine Mitgliedschaft beschränkte sich zunächst auf ehemalige Frontsoldaten, nicht aber ausschließlich auf Mitglieder der SPD oder deren Sympathisanten. In der Reichsvereinigung war eine große Anzahl von Zentrumsmitgliedern vertreten, dennoch wurde das Reichsbanner eine straffe Kampforganisation der SPD. Das Reichsbanner in Rinteln war nicht nur Kampforganisation der SPD, es war der aktivste Teil der Sozialdemokraten. Sein Vorsitzender wurde August Kielgas, einer der eifrigsten Sozialdemokraten. Das Reichsbanner Rinteln verfügte zwar nur über eine lockere militärische, aber über eine straffe Kommandostruktur. Nachtübungen und Sanitätsübungen standen ebenso auf dem Dienstplan wie weltanschauliche Schulung und uniformierte Propagandamärsche. Die Schulungen befassten sich durchweg mit Verfassungsfragen, zu geschichtlichen Fragestellungen zog man in der Regel ehemalige hohe Offiziere der kaiserlichen Armee hinzu. Polizeidienste bei Versammlungen führten besonders in den letzten Jahren der Weimarer Republik zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit der SA. In Rinteln befand sich die Kommandozentrale des Bezirksverbandes. Zu Bezirks- und Kreisveranstaltungen waren oft 1200 bis 1500 Teilnehmer auf der Straße. Die Saalveranstaltungen des Reichsbanners mussten häufig wegen Überfüllung vorzeitig geschlossen werden.
Neben der SA war es vor allen Dingen der Rote Frontkämpferbund, der die handgreifliche Auseinandersetzung mit dem Reichsbanner suchte, obwohl der Frontkämpferbund zahlenmäßig in Rinteln nicht von Bedeutung war. Für die Kommunisten war das Reichsbanner die Kampftruppe des Kapitals.
Das Reichsbanner führte regelmäßig gemeinsam mit dem Reichsbund der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen und dem Gewerkschaftsbund am Totensonntag eine Gedenkstunde für die Opfer des Kriegs auf dem Seetorfriedhof durch. Man marschierte von Vereinslokal Bünte – heute Kino – in einem Schweigemarsch zum Friedhof und begegnete der Marschkolonne des Kriegervereins, der seine Veranstaltung in der Regel vor dem Reichsbannner abhielt. Auch die jährlichen Verfassungsfeiern der SPD wurden in Rinteln vom Reichsbanner organisiert. Pfingsten 1929 weihte das Reichsbanner auf dem Papenbrink ein Denkmal für Friedrich Ebert, das bei 1933 laufend demoliert, dann von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Auf 330 bis 500 Mitglieder schätzte die Polizei die Stärke des Reichsbanners. Mitte 1933 vermutete man noch 300 aktive Anhänger der durch die Nationalsozialisten verbotenen Organisation und suchte nach einem Waffenlager im Hüttenbezirk. Das Reichsbanner war in zwei Gruppen gegliedert, wovon die erste als schnelle Eingreifgruppe zur Verfügung stehen sollte. Die Mitglieder waren in der Mehrzahl Arbeiter der Glashütte, ihre Führer wurden 1933 in das KZ Moringen eingeliefert.“
Seite 108:
„Obwohl 1931 keine Wahlen anstanden, waren Tausende von Bürgern an den politischen Versammlungen anwesend oder nahmen an Straßendemonstrationen teil. Die Versammlungen der SPD und des Reichsbanners waren durchschnittlich von 480 bis 500 Teilnehmern besucht. Bei 500 Teilnehmern schloss die Polizei den größten Rintelner Saal auf dem Ratskeller. Nicht selten standen 150 bis 200 Leute auf dem Markt oder Kirchplatz, wo man Lautsprecher aufgestellt hatte. Eine Reichsbannerbezirksversammlung endete mit einer Demonstration von 1500 Reichsbannermännern durch die Straßen der Stadt. Der Zulauf zu den Veranstaltungen der NSDAP war ähnlich groß. Die Volksnationale Reichsvereinigung brachte gemeinsam mit dem Jungdeutschen Orden im Schnitt 200 Interessierte auf die Säle. Die Veranstaltungen der DNVP büßten stetig an Anziehungskraft ein, lediglich Hugenberg hatte noch einen vollen Saal. Auf die Versammlungen der Kommunisten wurden selten mehr als 50 Teilnehmer gezählt, hier wie bei der NSDAP war der Anteil der Frauen am größten. Die Stahlhelmmitglieder waren meist mit der Extertaler Stahlhelmgruppe unter sich. Bei einem Vergleich der Teilnehmerzahlen ergibt sich ein Übergewicht der Rechten.“
Zweiter Vorsitzender des Reichsbanners war der Sozialdemokrat Wilhelm Ramm. Er war auch Vorsitzender des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen.
Weitere Vorsitzende waren neben Rudolf Kielgas noch Bruno Gundlach und Karl Palsbröker.
Quelle: Kurt Klaus, Rintelns Demokraten – Geschichte der Weimarer Republik. Eigenverlag, Rinteln 1997
Über den Autor:
Kurt Klaus, * 18. März 1926, gestorben am 05. 11. 2020.
Von 1997 bis 2009 ehrenamtlicher Leiter des städtischen Archivs Rinteln.
Auszug Wickipedia:
„Im Jahre 1918, nach der Kapitulation und der Thronentsagung Kaiser Wilhelms II, übernahm ein sogenannter Arbeiter- und Soldatenrat die Macht in Rinteln, später, mit der Stabilisierung der Weimarer Demokratie, konnte sich die SPD auf eine stabile Mehrheit im Stadtrat stützen. Die Kommunisten blieben ohne besondere Bedeutung. Im Jahre 1924 gründete sich in Rinteln die erste Ortsgruppe der NSDAP. Immer wieder kam es ab diesem Zeitpunkt zu Zusammenstößen zwischen Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten, die zwischen 1930 und 1933 massiver wurden. Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erreichte die NSDAP in Rinteln 1991 Stimmen, die SPD 959 Stimmen und die KPD 294 Stimmen. Die Stadt Rinteln verlieh schon am 12. April 1933 Adolf Hitler das Ehrenbürgerrecht.“
Zusammenstellung: Ralf Hermes, 02.03.2021