Kein schönr`er Tod ist auf der Welt… – Illustrierte Reichsbanner Zeitung 1924

Hameln, 06.03.2022: Ich scanne derzeit in der Leibnitz-Bibliothek in Hannover alte Ausgaben der Illustrierten Reichsbanner Zeitung und bin in der Ausgabe Nr. 2 des 1. Jahrganges vom 29. November 1924 auf einen Beitrag gestoßen, den ich in Bezug auf die aktulle Kriegssituation in der Ukraine hier als Abschrift wiedergebe. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold war 1924 ein Verband von Frontkämpfern, der allerdings anders als der Stahlhelm für den Schutz der Republik eintrat und für Völkerverständigung und Frieden stand.

Vorsicht, grausame Fotos.

Kein schön´rer Tod ist auf der Welt…

Die Toten.

Nach den amtlichen Verlustlisten hat Deutschland im Heer und Marine 1.808.545 Tote verloren. Verwundet wurden 4.247.143 Mann, davon sind 1.250.000 dauernde Krüppel geworden. Die Zivilbevölkerung verlor rund 750.000 Menschen infolge direkter Kriegseinwirkung. Auf beiden Seiten zusammen sind rund 10 Millionen Männer gefallen.

Wie diese 10 Millionen gestorben sind, zeigen die Bilder…

Die Vermißten.

In der amtlichen deutschen Verlustliste wird zwischen Vermißten und Gefangenen nicht unterschieden. Zu den 1.808.545 namentlich festgestellten Toten kommt eine nicht feststellbare Zahl von „vermißten“ Toten. Wo sie geblieben sind und warum sie nicht aufgefunden werden konnten, geht aus einer Schilderung der Schlachtfelder von Verdun hervor, die in Zeitungen der Deutschen Volkspartei erschien:

„… Rot wie Blutstropfen schimmern aus dem Ranken dunkler Nelken und reife Himbeeren, die niemand begehrt. Verborgen liegen Geschossteile und Minen, aus den Trichtern starrt bleiches Gebein. Schauer erfüllt mich bei dem Gedanken, es könnten Ueberreste von Menschen sein. Es waren Menschen. Düster versinkt die Schlucht des Todes in der Dämmerung des regensprühenden Spätnachmittags. Riesengroß im Nebeldunst taucht die Feste des Douaumont auf, daneben eine Holzkapelle. Ich trete ein, große Holzkästen stehen an den Wänden. Einer am anderen, einer über den anderen. Sie bergen die sterblichen Reste von Menschen. Der Geistliche gibt Auskunft. Die amatlichen französische Statistik stellt 450.000 Frenzosen als bei Verdun gefallen fest. Von diesen sind 80.000 aufgefunden und rekognosziert. Die Gebeine von 370.000 bleichen unter dem Himmel. Das sind die Vermißten auf französischer Seite, wo seit Jahren tagtäglich die Möglichkeit bestand, die Toten zu bergen. Die logische Konsequenz , furchtbar zu zeihen, ist, daß zumindest die gleiche Zahl von deutschen Vermißten auf diesen Gefilden fern der Heimat ruht. Die Todesschlucht: Die Gebeine von 750.000 Menschen liegen noch heute auf den Hügeln, seit acht Jahren in Sommerhitze und Eiseskälte. Die Franzosen gehen daran, sie zu bergen. Das ganze Schlachtfeld von Verdun ist in 52 Sektoren eingeteilt, für jeden Sektor steht in der Kapelle ein Holzkasten. Alle Gebeine, die in einem Sektor gefunden werden, birgt dieselbe Hülle. Jetzt stehen die Särge in der provisorischen Kapelle, ein riesiges Grabmal soll dereinst die letzten Reste derer überspannen, die hier in Kampfe starben. So werden französische Mütter und Frauen vor dem Sarge knien, der vielleicht oder wahrscheinlich einen Teil ihres Sohnes, ihres Geliebten birgt. Ueber diese Grabstätte, wie sie nie die Welt gesehen hat, weht die französische Flagge. Natürlich werden die Särge ebensogut die Gebeine deutscher Soldaten enthalten, denn der Tod und die Jahre haben die ehemaligen Feinde voreinander gleichgemacht.

Es ist die Aufgabe der deutschen Regierung, auch unseren 300.000 deutschen Vermißten dort ein Denkmal zu schaffen.

Ein gewaltiger Betonblock säumt den Gipfel der Cote Lorraine. Im rieselnden Regen erreiche ich die lehmige Höhe. Der Bajonettgraben: an die 400 Bajonette ragen aus der zerrissenen Erde. Sie werden noch heute von einer Knochenfaust gehalten. Ein deutscher Angriff überschüttete diesen Graben in einer Minute mit ungefähr 2000 Granaten; die Verteidiger starben, augenblicklich erdrückt von den weichenden Erdmassen, im Stehen. Das ist Verdun.“

Vor wenigen Wochen ging durch die Presse folgende Meldung:

„Bei den Aufräumungsarbeiten am Toten Mann, der Höhe, die aus den kämpfen um Verdun bekannt ist, haben Arbeiter bei Aufdeckung einer verschütteten Kasematte eine grauenhafte Entdeckung gemacht. Eine Kompagnie deutscher Soldaten, über 100 Mann, stand und saßen da, alle bis an die Zähne bewaffnet, versteinert. Eine vernichtende Gaswelle hatte die Soldaten ereilt, die sie erstickte und ihrer Körper sofort konservierte, denn an den Leichnamen ist nicht die geringste Spur der Verwesung festzustellen.“

Nach späteren Feststellungen war es eine Kompanie eine badischen Infanterieregiments.

Und ein anderer, der dabei war und der Hölle entrann, berichtet knapp und sachlich:

„Im Walde von Moreuil, dort wo die Darmfetzen und Schädelsplitter einer kanadischen Reiterbrigade massenweise hingen, da saßen 50 Franzosen mit gelben Gesichtern und verglasten Augen. Das deutsche Gelbkreuzgas hat sie erstickt. Ein Grauen ging von diesem Orte aus, kein Soldat wollte hingehen, die Leichenkommandos wurden durch Feuerüberfälle der Franzosen jedes mal gesprengt. So saßen sie noch immer da, als die Schlußoffensive 1918 neue Tausende zerstampfte…“

Wer löst das Rätsel „Mensch“? Millionen deutscher und französischer Männer haben dies Grauen erlebt und überstanden und können dennoch ruhig schlafen…

Im engen Bett nur ein´re allein – muß an den Todesreihen. – Hier findet er Gesellschaft fein, – fall´n wie die Kräuter im Maien.

Kamerad, warum gerade diese Feder…

Vor Verdun lag im Sommer 1916 eine deutsch schwere Batterie; durch erstürmtes Gelände wurde sie vorgezogen, in und neben den Trichtern lagen die Toten. Darunter ein deutscher Infanterist, im vorgehen gefallen; im Stahlhelm stak einer der langen Eisensplitter. Der ganzen Batterie fiel gerade dieser Tote mit dem langen, stumpf glänzenden Splitter auf, und einer sprach den Toten an: „Kamrad, warum hast du grad die Feder an den Hut gesteckt? …“ Die es hörten, lachten im Rollen der Schlacht und tappten weiter. …

So bezwang der Frontsoldat nach zwei Jahren Krieg das Erlebnis des Todes.

Drei Worte nur …

Nicht unnützer auf die Welt als ein toter Soldat. Für Kartuschen, leere Patronenhülsen, kupferne Granatringe und gelötete Konservenbüchsen zahlt die Sammelstelle schweres Geld. Von toten Pferden war immer noch die Haut zu verwenden. Ein toter Soldat? Für drei Pfennig Porto liefert das Bezirkskommando einen neuen …

Und der Eindruck auf die Kameraden? Monatelang war eine Kompagnie zusammen. Die Menschen lernten sich kennen, halfen sich gegenseitig tausendmal, hielten zusammen wie Pech und Schwefel; um einen aud em Drahtverhau zu holen, riskierten die ganze Gruppe das Leben, und wenn dann den Freund neben dem Freunde die tödliche Kugel traf: „Jetzt hat´s auch den erwischt – schad´ um ihn …“

Nichts unnützer auf der Welt als ein toter Soldat.

Darum liegen allein bei Verdun 370.000 französische und 300.000 deutsche „unbekannte Soldaten“. Schad´ um sie.

„Auf grüner Heid, im breiten Feld – darf nicht hör´n groß Wehklagen.“

Das Ideal des Militaristen.

Freiher v. Schöaich erwähnt in seinem Buche „Vom vorigen zum nächsten Krieg“ (Verlag der Neuen Gesellschaft, Fichtenau bei Berlin) einen Roman eines französischen Offiziers. darin ist von neuen, bisher unbekannten, durch synchronische Vibration erzeugte Strahlen die Rede, „die einen Anziehungsherd bilden für alle Vibrationsbewegungen der lebenden und der toten Materie. Die praktische Wirkung des Apparates ist die, daß zunächst der davon bestrahlte lebende Körper stirbt, und daß demnächst die tote Materie sich in gasförmigen Zustand verflüchtigt. Der Krieg wird dort, wo dieser Apparat angewendet wird, keine größlich verstümmelten und verwesenden Leichen mehr kennen.“

Claude Farrere, so heißt jener französische Offizier, weiß, wo den Generalstäbler – vor allem den Taktiker – der Schuh drückt. Die Beseitigung der verdammt unnützen Toten ist eine gänzlich unproduktive Arbeit, die hemmend und störend auf alle Operationen einwirkt. Ein Beweis für die Unvollkommenheit der Waffentechnik, trotz aller Fortschritte, die im Weltkrieg gemacht wurden.

Wenn sich erst die Körper der Toten in Luft auflösen – dann erst ist das militärische Ideal erreicht: die Kriegsmaschine arbeitet ohne Abfall.

Soldatentod.

Der Mensch ist ein doppeltes Wesen. Er ist für sich allein ein Ganzes und ist eine Zelle im Organismus, die nach eigenen Gesetzen leben: Familie, Gemeinde, Staat, Verein, Partei. Familien sterben, werden zerstört, Gemeinden und Staaten werden und vergehen. Je nach der Wichtigkeit ihrer Funktion wird der Verlust der Zelle „Mensch“ von der Gemeinschaft, die sie zugehört, empfunden.

Ein Heer ist ein mit vielen Fähigkeiten ausgestalteter Körper. Dem Bandwurm gleich kann es immer neue Glieder ansetzen. Wie der Krebs vermag es abgerissene Gliedmaßen zu erneuern und wie die Eidechse besitzt es die Fähigkeit, im Falle der Not Teile des Körpers ohne Schaden für das Ganz zu opfern, ohne Schmerzempfindung abzustoßen.

Was gilt der Eidechse der abgestoßene Schwanz? Was einem Her die Division, die bewußt geopfert wird, um einer gefährdeten Armee den Rückzug zu ermöglichen! Was ist dem Krebs eine Schwere, die er verliert? Was einem Heer die Hälfte seiner Armeekorps, wenn es gilt, die feindliche Stellung zu nehmen! Und was ist ein Regiment, ein Bataillon, eine Kompagnie? Ein abgeschnittener Fingernagel, ein verbrannter Schnurrbart. Und ein Soldat? Eine Schuppe, die vom Kopf fällt.

Es liegt in der Natur des organismus „Heer“, daß es kämpft, und blutige Verluste sind ihm not wie den Baum, daß er die Blätter verliert.

Darin liegt das Geheimnis des „schmerzlosen“ Soldatentodes. Der Soldat stirb nicht, sondern fällt. Soldaten falle zu Hunderten und Tausenden – die Kompagnie, das Regiment leben weiter, sie kräftigen sich im Kampf wie ein Muskel, der geübt wird, wenn nicht durch Ueberanstrengung die Erneuerungsfähigkeit gehemmt wird.

Im Felde stirbt ein Mensch – ein unbekannter Soldat, ein verwelktes Blatt. In der Heimat zerbricht eine Frau, jammern Kinder in ohnmächtigem Schmerz; eine Familie, ein lebender Organismus, ist verkrüppelt, zu Tode getroffen. Und dennoch! Auch die Familie, die den Vater verlor, kann sich regenerieren. Und wie viele vaterlose Familien gibt es, die lebenskräftig genug waren, aus sich heraus das Verlorene Haupt zu ersetzen, wie eine Fichte, die im Sturme die Krone verlor, aus einem Aste eine neue Spitze bildet.

Manch frommer Held mit Freudigkeit – hat zug´setzt Leib und Blute, – starb sel´gen Tod auf grüner Heid – dem Vaterland zugute.

Europa, hüte dich!

Die Fähigkeit, ein Heer zu bilden, ist dem Menschen nicht allein gegeben: die Ameisen ziehen wohlgeordnet, in deutlich erkennbarer Gliederung, in den Krieg gegeneinander, wie anderseits die Biene einen Arbeitsorganismus bildet. Aber dem Menschen allein ist die Fähigkeit gegeben, die Organismen, zu deren Bildung er imstande ist, weiter zu entwickeln. Mit der Organisation der Stämme eines Volkes zu einem nationalen Staat wird der Krieg der Stämme untereinander – einst die „heiligste“ Pflicht! – als „unsittlich“ empfunden. Der Weltkrieg hat die Zeit gebracht, da auch der Krieg der Nationen untereinander als „unmoralisch“ verfemt ist. Nicht umsonst will keine Nation die „Schuld am Kriegsausbruch“ auf sich nehmen.

Wehe den Nationen eines Kontinents, die sich noch länger untereinader bekriegen.

Europa hüte dich! – Ein unbekannter deutscher Soldat.




Nachschrift der Redaktion:

Nicht wahr, die Bilder sind grausig? So grausig, daß vielleicht der eine oder der andere Leser sich schaudernd abwendet und der Redaktion aus ihrer Wiedergabe Vorwürfe macht. Aber bedenkt, es gibt noch grausigere Bilder, die das entsetzliche menschenvernichtende Morden des Krieges noch gräßlicher zeigen; und vergesst nie: dies sind ja nur Bilder. Ihr die ihr mit Recht euch entsetzt, solltet aber alle diejenigen fragen, die heute schon wieder nach neuem Krieg schreien und Deutschland in eine Politik hineindrängen wollen, die Deutschland zum Kriegsschauplatz machen muß, wie sie die Befürwortung solcher Furchtbarkeiten, die sie zum Teil mit eigenen Augen gesehen haben, mit ihrem Gewissen, mit ihrer Bildung und Kultur vereinbaren können; wie sie mit ihrem Menschlichkeitsgefühl und mit ihrer Achtung vor dem Ebenbilde Gottes in Einklang bringen können, aufs neue diese furchtbare Geisel für das deutsche Volk herbeizuwünschen. Und hat euch ihre Antwort von ihrem Fanatismus, von ihrem den Menschheitsgedanken schändenden Treiben überzeugt, dann wendet Euch mit Abscheu von ihnen ab, werdet Kämpfer gegen den Krieg und rettet die Menschheit vor neuem wahnsinnigen Menschenmorden. Rettet vor allem die Jugend vor der Mord- und Kriegsseuche, denn nicht nur daß die Verseuchten und Verirrten selbst moralisch verloren sind, nein, sie zerren in ihr Verderben auch ganz systematisch und planmäßig die Jugend hinein durch ihre rechtsradikalen Jugendorganisationen. typisch dafür ist das Vereinsabzeichen des Wehrwolf (deutschvölkisch-deutschnationale Jugendorganisation).

Wer dem Menschheitsgedanken und der Kultur dienen will, für den gibt es nur eine Losung

Krieg dem Kriege!


Abschrift, 06.03.2022 / herral


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