Eine vergessene Zeitung?: „Das freie Wort“ – Sozialdemokratische Diskussionsorgan 1929-1933

Quellentexte: 27 Ausgaben – Heft 51, 3. Jahrgang, 20.12.1931 bis Heft 26, 4. Jahrgang, 26. Juni 1932. Berlin.

Verantwortlich: Aribert Haberlag, Berlin. Schriftleitung: Ernst Heilmann, Berlin, Landtag Verlag, Frei-Wort-Verlag, A. Haberlag, Berlin SW68, Lindenstraße 3, Druck: Vorwärts Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co. Nachdruck der Aufsätze nur mit Quellenangabe erlaubt.

Beispieltexte:

52. Heft, 27.Dezember 1931: „Gegen Gewalt und Not

Der notverordnete politische Weihnachtsfriede erstreckt sich nicht auf die Verhandlungen der politischen Prozesse. So spielt sich denn gerade in diesen Tagen der Prozeß gegen die nationalsozialistischen Mörder ab, die am vorigen Silvestertage die Genossen Schneider und Graf hingemeuchelt haben. Die Verspätung der Sühne ist diesmal nicht die Schuld der Gerichte; durch eine wohlvorbereitete Mörder-Fluchthilfe der Nationalsozialistischen Partei sind die jetzt auf der Anklagebank sitzenden Gewaltverbrecher ins Ausland geschafft worden, und es ist beinahe wunderbar, daß sich die Polizei überhaupt noch ihrer hat bemächtigen können. Die drei Hauptschuldigen, die aus dem denkbar nichtigsten Anlaß zwei junge blühende Menschenleben vernichtet haben, bieten eins der furchtbarsten Bilder sittlicher Verwirrung und Verrohung, das sich jemals im Gerichtssaal offenbar hat. Sie haben auch jetzt nach einem Jahr kein Wort des Bedauerns für ihre unschuldigen Opfer, kein Wort des Mitleids für die Eltern der Hingeschlachteten; nur die freche Redensart, daß sie diesem System das Recht absprächen, über sie zu richten. Abgelauscht und sinnlos nachgeplappert dem, was Kommunisten in gleicher Lage sagen. Und blödes Grinsen. Wenn je, dann wäre hier das Lieblingswort der Nationalsozialisten vom Untermenschentum angebracht, und man möchte wohl wissen, wie solche Burschen die Friedensbotschaft des Weihnachtsfestes innerlich aufnehmen. Selbstverständlich stellt die nationalsozialistische Partei ihnen Verteidiger, nachdem die von ihr gewährte Fluchthilfe nicht zum Ziele der Straffreiheit geführt hat. Ohne jeden Vorbehalt bekennen sich diese „besten Christen“, diese geschworenen Feinde des „Kulturbolschewismus“, zum brutalsten willkürlichsten Totschlag. Damit das Gegenstück nicht fehle: gleichzeitig wird in Leipzig gegen den jugendlichen Kommunisten Kroll verhandelt, der zusammen mit einer ganzen Rotte von Helfershelfern den Jugendgenossen Max Warkus aus keinem anderen Grunde totgestochen hat, als weil er ein Flugblatt der Sozialdemokratischen Partei verbreitete. Und dieser Kroll ist der Pflegesohn des kommunistischen Parteisekretärs von Leipzig, eines langjährigen kommunistischen Landtagsabgeordneten, der…


Heft 1, 4. Jahrgang, 3. Januar 1931: Partei-Nachrichten: Statistik der Terrorabwehrstelle:

Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei hat soeben eine erste Zusammenstellung des wichtigsten, bei der Terrorabwehrstelle gesammelten Materials über gewalttätige Ausschreitungen der Nationalsozialisten veröffentlicht. Die Darstellung umfaßt 1484 Gewalttaten mit 62 Toten und 3200 Schwer- und Leichtverletzten als Blutopfer des deutschen Faschismus aus den letzten beiden Jahren. Bei den Tätern handelt es sich ebensowohl um oftmals und schwer vorbestrafte Gewohnheitsverbrecher, wie um mißleitete und verrohte Jugendliche. In Hunderten von Fällen wurden die Ueberfälle planmäßig und offen mit Waffengewalt durchgeführt. Die Natioanlsozialisten betreiben bekanntlich eine wilde Propaganda mit „Rotmord“, mit gewalttätigen Üeberfällen, denen sie und ihre SA.-Leute angeblich ausgesetzt sind. Demgegenüber war es notwendig, den gekränkten Unschuldslämmern einmal das Bild ihrer eigenen Taten vor Augen zu halten. Wer nicht gewaltsam die Augen vor der Wirklichkeit schließt, wußte allerdings auch ohnedies, daß von allen politischen Schlägereien und Mordtaten die größere Hälfte auf die Kommunisten und die kleinere Hälfte auf die Nationalsozialisten als Urheber zurückgeht, während alle übrigen Gruppen und Parteien an den Ausschreitungen tatsächlich nur minimal beteiligt sind. Das hat auch einen auf der Hand liegenden Grund: die Parteien, die das Ideal der Diktatur verkünden, die sich an der Vorstellung vom Hängen und Erschießen ihrer Gegner berauschen, müssen, auch wenn sie zum Schutz vor dem Staatsanwalt oder ehrlich den individuellen Terror ablehnen, ihre Anhänger notwendigerweise in die Brutalität hineintreiben. Eine Partei, die die Republik des sich selbst regierenden Volkes ablehnt und die Gewaltherrschaft eines einzelnen oder einzelner Gruppen als ihr Ziel verkündet, stellt sich damit automatisch außerhalb der Gesetzlichkeit.


Heft 7, 4. Jahrgang, 14. Februar 1932: „Rings um die Eiserne Front – Wird es die Republik uns danken?

„Mit einer geradezu erhebenden Kraft hat sich der Schutzwall der Eisernen Front erhoben und vor die Republik gestellt. Monate hindurch werden die aktiven Reichsbannerkameraden, die Parteiordner, die Gewerkschaftsfunktionäre, die Sportleiter und ihre gesamten Mitgliedschaften ihre ganze kraft ausschließlich für den Bestand der demokratischen Republik einsetzen. Welches wird der Dank der Republik für alle diese Leistungen sein? Der größte Teil derer, die allsonntäglich und oft noch in der Woche mit hungrigem Magen und durchgelaufenen Schuhen für die Republik marschieren, ist sich bewußt, daß auch mit der Erringung ihres Ziels, dem Niederkämpfen des Faschismus, die soziale Gerechtigkeit noch nicht erkämpft ist; sie wissen, daß die Republik nur die unentbehrliche Plattform des Kampfes für den Sozialismus ist. Aber auch während des Krieges haben ja trotz aller Warnungen hunderttausende deutscher Frontkämpfer gewiß ihre Hoffnungen auf das Versprechen gesetzt, daß der Dank des Vaterlandes ihnen gewiß sei, und waren nachher tief enttäuscht, als sie zu spüren bekamen, wie dieser Dank für den Frontsoldaten tatsächlich ausgesehen hat. … Denn das muß den Maßen immer wieder gesagt werden: niemand hilft dir als du selbst. H.Göring, Dresden.“


Die weiteren Ausgaben konnten noch nicht im Einzelnen gesichtet werden:


Internetrecherche zur Zeitschrift und ihren Personen:

a) Eine direkte Suche nach dem Zeitschriftennamen brachte keinen Treffer. Es gab am 19.02.1933 zwar eine Protestkundgebung mit dem Titel „Das Freie Wort“ – Hinweise auf eine Bezug zur SPD-Zeitung liegen nicht vor.

b) Über den im Impressum als Verantwortlichen der Zeitung genannten Aribert Haberlag gibt es lediglich einen Adressbucheintrag aus dem Jahr 1927 als Verlagsleiter, Adresse Ackerstraße 20 in Jena.

c) zum Schriftleiter Ernst Heilmann (* 13. April 1881 in Berlin; † 3. April 1940 im Konzentrationslager Buchenwald) gibt es einen umfangreichen sehr interessanten Wikipedia Eintrag. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Heilmann

Zum Stolperstein: http://www.ag-sonnenberg-geschichte-in-chemnitz.de/Stolpersteine/Stolperstein_Heilmann.htm


Zusammenstellung vom 05.12.2021, Die abgebildeten Zeitungen befinden sich in der Sammlung Republikpolizei. herral

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