Feb. 1933: Görings Schießerlass an die preußische Polizei und eine Reaktion des ADGB (Quellendokumente)

Pressespiegel Februar 1933: Einblicke in Zeitungsmeldungen der Vossischen Zeitung, des Vorwärts und der Deister-Weserzeitung aus Hameln.

Schießerlass, Ausschreitungen, Umorganisation der Polizei, politische Gewalt, Kriminalität:

Die Vossische Zeitung vom 21.02.1933 veröffentlicht im Wortlaut einen neuen Polizeierlass des Reichskommissars Göring. Hier eine Artikelabschrift:

Polizei-Erlaß von großer Tragweite. „Rücksichtsloser Waffengebrauch gegen Staatsfeinde“

Der Kommissar des Reiches für das Preußische Ministerium des Innern, Reichsminister Göring, hat an alle Polizeibehörden am 17. Februar d. J. einen Runderlaß gerichtet, der es verdient, im Wortlaut wiedergegeben zu werden:

„Ich glaube, mir einen besonderen Hinweis darauf ersparen zu können, daß die Polizei auch nur den Anschein einer feindseligen Haltung oder gar den Eindruck einer Verfolgung gegenüber nationalen Verbänden (S.A., S.S. und Stahlhelm) und nationalen Parteien unter allen Umständen zu vermeiden hat. Ich erwarte vielmehr von sämtlichen Polizeibehörden, daß sie zu den genannten Organisationen, in deren Kreisen die wichtigsten staatsaufbauenden Kräfte enthalten sind, das beste Einvernehmen herstellen und unterhalten. Darüber hinaus ist jede Betätigung für nationale Zwecke und die nationale Propaganda mit allen Kräften zu unterstützen. Von polizeilichen Beschränkungen und Auflagen darf insoweit nur in dringendsten Fällen Gebrauch gemacht werden.

Dafür ist dem Treiben staatsfeindlicher Organisationen mit den schärfsten Mitteln entgegenzutreten. Gegen kommunistische Terrorakte und Überfälle ist mit aller Strenge vorzugehen und, wenn nötig rücksichtslos von der Waffe Gebrauch zu machen. Polizeibeamte, die im Ausübung dieser Pflichten von der Schusswaffe Gebrauch machen, werden ohne Rücksicht auf die Folgen des Schusswaffengebrauches von mir gedeckt; wer hingegen in falscher Rücksichtnahe versagt, hat dienststrafrechtliche Folgen zu gewärtigen.

Der Schutz der immer wieder in ihrer Betätigung eingeengten nationalen Bevölkerung erfordert die schärfste Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen gegen verbotene Demonstrationen, unerlaubte Versammlungen, Plünderungen, Aufforderung zum Hoch- und Landesverrat, Massenstreik, Aufruhr, Pressedelikte und das sonstige strafbare Treiben der Ordnungsstörer.

Jeder Beamte hat sich stets vor Augen zu halten, daß die Unterlassung einer Maßnahme schwerer wiegt als begangene Fehler in der Ausübung.

Ich erwarte und hoffe, daß alle Beamten sich mit mir eins fühlen in dem Ziel, durch die Stärkung und Zusammenfassung aller nationalen Kräfte unser Vaterland vor dem drohenden Verfall zu retten.“


Fast identischer Meldungsinhalt bei DEWEZET und Vorwärts:


Als Reaktion auf den Erlass hat der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund den Reichspräsidenten Hindenburg angeschrieben.

Bericht im Vorwärts vom 23.02.1933 (Abschrift):

Herr Reichspräsident! Ein Schreiben des Allgemeinen Deutschen Gerwerkschafts-Bundes

Der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Peter Graßmann, hat im Auftrage des Bundesvorstandes am 21. Februar folgendes Schreiben an den Reichspräsidenten gerichtet:

„Sehr geehrter Herr Reichspräsident!

Der Bundesvorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes lenkt ihre ernste Aufmerksamkeit auf den Runderlaß an alle Polizeibehörden Preußens, den der von Ihrem Vertrauen in sein Amt berufene Kommissar des Reichs für das preußische Ministerium des Innern, Reichsminister Göring, erlassen hat.

Dieser Erlaß schafft seiner ganzen Tendenz nach zweierlei Recht in Deutschland. Erstens ein Vorzugsrecht für die Verbände, die nach der Meinung des Reichsministers Göring nationale Verbände sind, nämlich SA., SS. und Stahlhelm. Das gleiche Vorzugsrecht gilt für die nationalen Parteien: unter letzteren sind offenbar ausschließlich jene Parteien zu verstehen, auf die sich die jetzige Regierung stützt. Zweitens ein Ausnahmerecht gegen jene Organisationen, die Herr Reichsminister Göring als staatsfeindliche Organisationen zu bezeichnen für gut findet, ohne daß er sich im übrigen der Mühe unterzöge, näher darzulegen, was er darunter versteht. Der Hinweis, daß der Erlaß sich offenbar insbesondere „gegen kommunistische Terrorakte und Ueberfälle“ richten soll, kann u so weniger als eine Erläuterung gelten, als nur jene Bevölkerungsschichten die der SA., der SS. und dem Stahlhelm nahestehen, als „nationale Bevölkerung“ anerkannt und des besonderen Schutzes der Polizei würdig befunden werden. Der Erlaß beschwört eine Rechtsunsicherheit von unabsehbaren Folgen herauf.

Wir erheben gegen diesen Erlaß, der weder mit dem Geist noch mit dem Buchstaben unserer Verfassung, noch mit dem Lebensformen eines Kulturvolks zu vereinbaren ist, den schärfsten Protest. Wir legen Verwahrung ein gegen eine amtliche Anweisung, deren Sinn nicht anders gedeutet werden kann, als daß sie weite Schichten des Volkes zum Freiwild politischer Willkür macht.

Wir wenden uns an Sie als Präsidenten des Deutschen Reichs, der berufen und gewillt ist, die Verfassung zu schützen. An Sie wenden wur uns als die deutsche Organisation, die in ihren Reihen die größte Anzahl Frontkämpfer vereinigt. Diese Millionen, unter denen sich Anhänger der verschiedensten politischen Parteien befinden, haben nicht im Weltkrieg für Deutschland gekämpft und geblutet, um sich 15 Jahre später von verantwortlichen Reichsstellen sagen zu lassen, daß sie nicht zu den „staatsaufbauenden Kräften“, daß sie nicht zur „nationalen Bevölkerung“ gehören. Niemand in Deutschland ist so hoch gestellt, daß er es wagen dürfte, die Kämpfer des Weltkrieges – gleichgültig, welcher politischen Partei sie angehören – und ihre Organisationen als Deutsche minderen Rechts zu bezeichnen oder zu behandeln.

Wir hoffen und erwarten von Ihnen, Herr Reichspräsident, daß Sie als der militärische Führer im Weltkrieg dieser Entehrung von Millionen Frontkämpfern mit allen Mitteln entgegentreten werden. Die Entrechtung der Mehrheit des deutschen Volkes, die Gegner der jetzigen Regierung ist, bedeutet die tatsächliche Aufhebung der politischen Meinungsfreiheit wie der persönlichen Sicherheit in Deutschland, deren Schutz zu Ihren vornehmsten Aufgaben gehört.“



Bericht der Vossischen Zeitung vom 22.02.1933 (Abschrift):

Beschwerde bei Hindenburg. Die freien Gewerkschaften über den Erlaß Görings

Zum Polizeierlaß Görings hat der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ein Schreiben an den Reichspräsidenten gerichtet, dessen wesentlichste Partien lauten:

Der Erlaß des Reichskommissars Göring schafft seiner ganzen Tendenz nach zweierlei Recht in Deutschland. Erstens ein Vorzugsrecht für die Verbände, die nach der Meinung des Reichsministers Göring nationale Verbände sind, nämlich S.A., S.S. und Stahlhelm. Das gleiche Vorzugsrecht gilt für die nationalen Parteien; unter letzteren sind offenbar ausschließlich jene Parteien zu verstehen, auf die sich die jetzige Regierung stützt. Zweitens ein Ausnahmerecht gegen jene Organisationen, die Herrn Reichsminister Göring als staatsfeindliche Organisationen zu bezeichnen für gut findet, ohne daß er sich im übrigen der Mühe unterzöge, näher darzulegen, was er darunter versteht.

Der Hinweis, daß der Erlaß sich offenbar insbesondere „gegen kommunistische Terrorakte und Ueberfälle“ richten soll, kann um so weniger als eine Erläuterung gelten, als nur jene Bevölkerungsschichten, die der S.A., oder der S.S. und dem Stahlhelm nahestehen, als „nationale Bevölkerung“ anerkannt und des besonderen Schutzes der Polizei würdig befunden werden. Der Erlaß beschwört eine Rechtsunsicherheit von unabsehbaren Folgen herauf.

Wir erheben gegen diesen Erlaß, der weder mit dem Geist noch mit dem Buchstaben unserer Verfassung, noch mit den Lebensformen eines Kulturvolkes zu vereinbaren ist, den schärfsten Protest.

Wir wenden uns an Sie als Präsidenten des Deutschen Reiches, der berufen und gewillt ist, die Verfassung zu schützen. An Sie wenden wir uns als die deutsche Organisation, die in ihren Reihen die größte Anzahl Frontkämpfer vereinigt. Diese Millionen, unter denen sich Anhänger der verschiedensten politischen Parteien befinden, haben nicht im Weltkrieg für Deutschland gekämpft und geblutet, um sich 15 Jahre später von verantwortlichen Reichsstellen sagen zu lassen, daß sie nicht zu den „staatsaufbauenden Kräften“, daß sie nicht zur „nationalen Bevölkerung“ gehören. Niemand in Deutschland ist so hoch gestellt, daß er es wagen dürfte, die Kämpfer des Weltkrieges – gleichgültig, welcher politischen Partei sie angehören – und ihre Organisationen als Deutsche minderen Rechts zu bezeichnen oder zu behandeln.

Wir bedauern, daß ein ehemaliger Frontoffizier den Geist der Frontkameradschaft gegenüber Hunderttausenden namenloser Kämpfer verleugnet, nur weil sie eine andere politische Ueberzeugung haben als er. Die gerechte Würdigung, die ein Frontoffizier wie Oberstleutnant Duesterberg für seine Kameraden aus allen politischen Lagern gefunden hat, beweist, daß echter Frontgeist mit nationaler Ueberheblichkeit nichts gemein hat.

Wir hoffen und erwarten von Ihnen, Herr Reichspräsident, daß Sie als der militärische Führer im Weltkrieg dieser Entehrung von Millionen Frontkämpfern mit allen Mitteln entgegentreten werden.


Bericht Vorwärts vom 23.02.2022: Land Sachsen protestiert. Gegen Görings Polizeierlaß.

„Ferner fand ein sozialdemokratischer Antrag Annahme, beim Reichspräsidenten gegen den Erlaß des Reichskommissars für Preußen, der zu parteiischer Handhabung der Polizeigewalt auffordere, schärftens zu protestieren.“


Weitere Bericht der Tage:


Zusammenstellung vom 26.02.2022, herral

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.