Sorgen auf Grummireifen

Ein Beitrag aus der Zeitschrift „Die Woche“ vom 29.03.1930 mit Zeichnungen von G.G. Kobbe + Text von Hans Brennert. Textabschrift:

„Die Menschen haben ja wohl nach den erstaunlichen Feststellungen der Forschung einige Zehntausende gebraucht, um das Gehen zu erlenen. Jetzt beschäftigen sie sich schon zwei Jahrzehnte damit, das Gehen wieder zu verlernen; hierzu haben sie sich bekanntlich das Automobil erfunden.

Das Automobil ist wie das Leben: schön, aber teuer. Daher haben einige Menschen noch keinen Wagen und müssen also vorläufig noch gehen.

Die Anderen , die den Unfug des Gehens nicht mitzumachen brauchen, weil sie eben schon einen Wagen haben, werden beneidet. Der erste Urmensch, der mit einem Baumstamm auf dem Urmeer ruderte, wurde auch beneidet; nämlich von denen, die sich vom Ufer aus das ansehen mußten, weil sie keinen Baumstamm hatten, und zwar beneideten sie ihn nicht nur, sondern wenn er an das Ufer kam, schlugen sie ihn tot, schmissen in in ein Torfmoor, und der jeweilige Weltmeister im Totschlagen nahm sich den Baumstamm und fuhr damit Kahn, bis er wieder von dem nächsten Weltmeister totgeschlagen wurde.

Das ist heute ja nicht mehr nötig. Denn wer heute keinen Wagen hat, der kann sich immerhin in einen Autobus setzen, bis eben jeder seinen eigenen Wagen hat wie in Amerika, wo selbst der kleine Mann einen hat, den er wegwirft, wenn er nicht mehr zu gebrauchen ist, wie ein Papierkragen. Die Freunden auf Gummireifen dürften für Besitzer großer Wagen wie kleiner Wagen übrigens ungefähr dieselben sein: sie können alle zusammen nicht mehr davon haben, als auf der Straße zu fahren – für das Weitere sorgt dann schon die Straße, auf deren Benehmen der Mann im Wagen nicht den geringsten Einfluß hat.

Denn diese Straße, das ist die gütige Fee, die den Mann am Steuerrad überhaupt erst wunschlos glücklich macht. Man kann auch sagen, der Fahrdamm ist der geometrische Ort für alle mathematischen Funktionen, deren Beobachtung das Fahren auf der Straße so reizvoll macht; zum Beispiel, wenn der Mann am Bolant immer wieder steht, wie etwa Menschen beim Überschreiten des Fahrdamms Kreuzworträtsel lösen, obwohl sie sich dabei doch durch den Autoverkehr mit Recht gestört fühlen dürften. Es hat sich ferner herausgestellt, daß kein Ort als so sicher eingeschätzt wird wie der Fahrdamm, zum Beispiel von älteren Fräulein, die ihren Pudel auf dem Asphalt weiden; oder hat man vielleicht schon gehört, das jemals ein Fräulein mit einem Pudel von einem Automobil überfahren worden ist?

Und ist der Fahrdamm nicht der geometrische Ort für jene Radfahrer, die aus Nebenstraßen hervorschießen und wie sonnentrunkene Falter deinen Wagen umgaukeln? Oder sich mit zwar nerviger, aber gut geölter Hand an deinem strahlend weiß auf neu lackierten Kotflügel halten? Denn es können auch Motorfahrer sein. Damit du nun weißt, wie andere sich auf dem Fahrdamm zu verhalten haben, muß du die Paragraphen auswendig lernen, die sie nicht zu lernen brauchen, damit du in deinem Bestreben, den Bestand ihrer Idylle auf dem Fahrdamm zu sichern, nicht fremde Luxuswagen zu Schrott fährst. Überhaupt, was fährst du denn immerzu auf dem Asphalt herum? Es gibt doch schließlich Landstraßen und rechts und links von diesen die sogenannte Natur.

Also warum fährst du mit deinem Wagen nicht in die Natur, in die hunderprozentige frische Luft, wie? In den Schollengeruch wie? In den Waldduft und in die Wiesenluft? Ozon nennt man das. Unmittelbar nachdem du aus der Stadt bist, befindest du dich schon in einer herrlichen kilometerlangen Allee, zwar nicht von Bäumen, immerhin aber von hölzernen Tafeln, die ja aus Bäumen gemacht werden. Es ist also nicht gerade ein Blätterwald, den du durchfährst, sondern eher und schon mehr ein Bretterwald, der zwar nicht rauscht, aber dennoch zu dir spricht und dir zuruft, womit du deine Zähne putzen, deine Lackstiefel behandeln, deine Frackhemden waschen, deine Fettflecken entfernen, deinen Haarwuchs fördern, deine Leichdörner ausrotten, deinen Säugling ernähren und deinen Staub saugen kannst – die Tafeln sind sozusagen der Inseratenteil der Natur und stehen kilometerweit durch den Ozon und durch die Bläue, die aber nicht vom Frühlingshimmel strahlt, sondern von vergasten Benzin der tausend vor und hinter dir fahrenden Wagen und Motorräder.

Ein druchaus zu begrüßendes Phänomen – es wüßte ja sonst kein Mensch, daß er Automobil fährt. Und die Luft ist immerhin noch so durchsichtig, daß du von den Tafeln ablesen kannst, wo du und dein Wagen tanken können, vorausgesetzt, daß die vor dir fahrenden Wagen den Stoff und den Brennstoff nicht schon konsumiert haben oder daß der ganze Korso nicht durch das planwidrige Auftreten einer Hammelherde oder eines umgestürzten Heuwagens oder durch Meinungsverschiedenheiten eines einzelnen Herrn mit dem Gendarmen unliebsam aufgehalten wird.

Die Ausbrüche der entfesselten Hupe pflegen von den Urhebern mit gewählten Fachausdrücken begleitet zu werden, welch aber trotz deutlicher Aussprache von den damit gemeinten Stellen meistens nicht gehört werden, weil die ohnehin mit Strafanzeigen überlastet sind. Wie klein sind alle die Sorgen des zu Fuß gehenden Mannes auf Gummisohlen gegen die Sorgen des Mannes auf Gummireifen.



Autowerbung 1930:


Zusammenstellung: herral, 09.05.2021

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