Zeitungsberichte der Deister- und Weserzeitung aus Hameln
Vom:
- DEWEZET vom 26. April 1925: „Krawalle in Berlin.“
- DEWEZET vom 27. April 1925: „Ein Reichsbannermann in Berlin erschossen.“
- DEWEZET am 11. Juli 1925: Die wilde Polizei. Zusammenbruch einer Hetze.
DEWEZET vom 27. April 1925: „Krawalle in Berlin.“
Berlin, 26. April. (Eigene Funkmeldung.) Die Wahlbeteiligung im Osten Berlins war ungewöhnlich stark und betrug schon in den Mittagsstunden ungefähr 40 Prozent. Die Wogen der politischen Erregung gingen hier besonders hoch. In der Frankfurter Allee kam es um die Mittagsstunde zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen etwa 50 Reichsbannerleuten und zehn Angehörigen des Reichsblocks. Nachdem Zurufe von beiden Seiten gefallen waren, sprang eine Reihe von Reichsblockangehörigen in den Wagen der Reichsbannerleute, und in wenigen Augenblicken kam es zu einer schweren Schlägerei. Auf Seiten des Reichsblocks sind 2 Personen durch Stockhiebe ernstlich verletzt worden, von den Reichsbannerleuten erlitten drei Personen derart ernstliche Verwundungen, daß sie ins Krankenhaus transportiert werden mußten. Schließlich kam es zwischen den Passanten unter sich ebenfalls zu ernsten Schlägereien, die bis in die Häuser hinein fortgesetzt wurden. Die Anzahl der Verletzten wird insgesamt auf etwa 15 Personen geschätzt. Herbeieilende Schutzpolizei nahm 12 Personen fest. Im Südwesten, Süden und im Zentrum der Stadt verlief der Wahltag verhältnismäßig ruhig. Die Stadt war allenthalten mit Flugblättern dich besät.
Sehr erregt war die Stimmung in Neuköln. Mehrere Zusammenstöße verliefen glimpflich. Zu einer Schlägerei zwischen Kommunisten und Reichsbannerleuten kam es in der Bergstraße. Doch gelang es der Polizei, die Kämpfenden rechtzeitig zu trennen. Nachmittags um ½ 4 Uhr kam ein großer mit etwa 30 Personen besetzter Lastkraftwagen an der Ecke Kurstraße-Spittelmarkt mit Kommunisten an. Auch hier kam es zu Schlägereien zwischen Reichsbannerleuten und Kommunisten. Die Kommunisten erlitten schwere Verletzungen, meist Arm- und Beinbrüche.
Potsdam war vorherrschend mit den alten Reichsfarben geschmückt, nur vereinzelt sah man schwarz-rot-goldene Fahnen. In den Straßen herrschte ruhiges Leben. Die Wahlbeteiligung war äußerst rege; bereits in den Mittagsstunden betrug in den einzelnen Wahlbezirken die Wahlbeteiligung 70 Prozent der Wähler.
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Charakteristisch ist an diesen Schlägereien, daß das Reichsbanner, ob die andere Partei nur rechts oder links steht, immer beteiligt ist. Daraus wird natürlich in der Linkspresse die Legende von dem armen verfolgten Lämmlein gemacht werden. Es darf aber nicht übersehen werden, daß es sich auf der Frankfurter Allee um 50 Reichsbannerleute und zehn andere handelte, die auf den betreffenden schwarzrotgoldenen Lastwagen hinaufgesprungen sein sollen. Sollte das letztere zutreffen, so müssen die Provokationen schon reichlich stark gewesen sein, wenn die Reichsblockleute in ihrem Zorn ihre fünffache Unterlegenheit vergaßen. Davon sprechen ja such die Verwundungen, die es dabei absetzte. Im übrigen hat es ja schon am Sonnabend ähnlich zugegangen, wie die nachfolgenden Berichte beweisen.
DEWEZET vom 27. April 1925: „Ein Reichsbannermann in Berlin erschossen.“
Berlin, 26. April. (Eigene Drahtmeldung.) Über einen blutigen Zwischenfall in Berlin-Schöneberg wird folgende amtliche Miteilung verbreitet: „Am 25. April um 1,05 Uhr nachmittags durchfuhr ein Propagandamöbelwagen des Reichsbanners die Insbrucker Straße und wurde von etwa 15 Reichsbannerleuten begleitet. An der Basischen Straße standen der Landwirt Rehnig, Innsbrucker Straße wohnhaft, der Schüler Benoit und der Schüler Pfundt. Am 25. April um 1,05 Uhr nachmittags durchfuhr ein Propagandamöbelwagen des Reichsbanners die Insbrucker Straße und wurde von etwa 15 Reichsbannerleuten begleitet. An der Basischen Straße standen der Landwirt Rehnig, Innsbrucker Straße wohnhaft, der Schüler Benoit und der Schüler Pfundt. Sie gerieten mit den Reichsbannerleuten in Streit, in dessen Verlauf dem Rehnig ein schwarz-weiß-rotes Fähnchen entrissen wurde. Als ihn angeblich die Reichsbannerleute bedrohten, zog er seinen Revolver, schoß in die Luft und daraufhin in die Reichsbannerleute und tötet in angeblicher Notwehr den Lagerverwalter Erich Schulz. Es soll noch eine weitre Person verletzt worden sein, doch konnte diese bisher nicht ermittelt werden. Die Leiche des Schulz wurde von der Polizei beschlagnahmt und dem Leichenschauhaus zugeführt. Rehnig ist festgenommen und der Abteilung 1a des Berliner Polizeipräsidiums zugeführt worden. Die weiteren Ermittlungen sind noch im Gange.“
Die Deister- und Weserzeitung berichtet am 11. Juli 1925:
Die wilde Polizei. Zusammenbruch einer Hetze.
„Prozeß gegen den Landwirt Rehnig“, lesen wir in Berliner Blättern. – Halt, was war das? Man hat es schon fast wieder vergessen: Am Tage der Präsidentenwahl wurde bei einem Krawall im Westen Berlins der Reichsbannermann Schulz durch die Kugel des Landwirts Rehnig so unglücklich getroffen, daß er an den Folgen verstarb. Durch die ganze Presse ging natürlich der Ton des Bedauerns von solcher Auswüchse des politischen Kampfes und durch einen Teil der Blätter loderte wie auf Kommando die Empörung gegen den „Mörder“, gegen die „blutige Reaktion“ usw. Das ist dieser Fall Rehnig. Und das Ergebnis des Prozesses? Todesstrafe,
Zuchthaus, Gefängnis? – Nichts: Freispruch auf Kosten der Staatskasse. Auf Kommando geht wieder durch einen Teil der Blätter die Empörung gegen die „reaktionäre Justiz“ usw. Wir sind daran gewöhnt. Wo aber einmal jemand den Gang dieser Gerichtsverhandlung verfolgt, da enthüllt sich ihm die Tatsache, daß das Blut jenes unglücklichen Reichsbannermannes von den Seinen und den Linksparteien zu einer Wahlmache so übler Art verwandt worden ist, daß die Wellen dieser Schmutzflut bis zum Gipfel aller Skrupellosigkeit hinaufschlagen. Die Zeugenaussagen – u.a. von einem italienischen Studenten, der den Dingen mit der Leidenschaftslosigkeit des Ausländers gegenübersteht – haben nicht nur ergeben, daß Rehnig in Notwehr geschossen hat, als man ihn mit Stöcken bewarf und verfolgte, nicht nur, daß er zweimal laut gefordert hat, man solle ihn gehen lassen, bevor er schoß, sondern auch, daß dieser Zug des Reichsbanners, bei dieser Gelegenheit sich der Krawall ereignet hat, eine Johl- und Pöbelfahrt gewesen ist, die alles belästigte, was ihr nur mit schwarz-weiß-roten Fähnlein unter die Augen kam. So hat also der „Angriff auf die Reichsbannerleute“ ausgesehen, als der diese Episode von Leuten frisiert wurde, die an der Ursprungsstelle der Nachricht ohne Frage selber gewußt haben, daß sie eine dreiste, unverantwortliche Lüge in die Welt sandten.
Der Angeklagte Rehnig hat die einzige gewaltige Sünde getan, daß er mit einem Fähnlein in den alten Reichsfarben am Fahrrad den Zug der rasenden Derwische passiert du daß ihm dabei das Lachen kam. In der Tat, es ist nicht zu Lachen, wenn erwachsene Menschen, die noch dazu beanspruchen, als Mitglieder eines vaterländisch gesonnenen Verbandes angesehen zu werden, an einem solchen Tage, wo halt jeder die Pflicht hat Farbe zu bekennen, zu allen Balkonen herauf bellen und schimpfen, wo nur ein Wimpelchen flattert, das andere als schwarzrotgoldene Töne zeigt. So aber ist es nachweislich geschehen. „Die Hunde muß man totschlagen“ ist eine der Redensarten, mit denen die Passanten begrüßt und republikanisch beeinflusst wurden. Es sind Ziechen erschütternder Naivität, wie man sich in diesen Kreisen seine Stellung und Aufgabe vorstellt: Das man sich zusammenschart, um mit gesetzlichen Mitteln für Achtung und Erhaltung der gegenwärtigen Reichsflagge einzutreten, dagegen ist selbstverständlich nichts zu sagen, und daß man , je wichtiger einem dieser Kampf erscheint, sich desto mehr auch „mit seinen größeren Zwecken“ wachsen fühlt, das ist nur begreiflich, das man aber den Respekt, den man für die Reichsflagge fordert, und den ihr kein vernünftiger Mensch versagten wird, eben solange sie Reichfahne ist, daß man diesen Respekt für die Organisation des Reichsbanners beansprucht, das dürfte denn doch schon etwas weit gegriffen sein. So sehr werden durch seinen Zweck die Mittel geheiligt. Aber damit ist es nicht einmal genug, wie die Zeugenvernehmung über jene Veranstaltung lehrt: Das jemand, der einen Volksauflauf veranstaltet, auch für dessen Ordnung mitverantwortlich ist und der Polizei bei der Zurückdrängung der Massen behilflich zu sein hat, ist selbstverständlich und dafür gibt es bekanntlich bei allen großen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Jungdo, Stahlhelm, Reichsbanner usw. bestimmte Methoden und Kniffe. Daß aber dies durch den Berliner Westen tobende Horde sich selber noch als Polizist aufspielt und „Verhaftungen“ vornimmt, da wo ihr die Nase eines Passanten nicht gefällt, das übersteigt alle Grenzen, innerhalb deren man ruhig zuschauen darf, und es ist gut, daß die Urteilsbegründung im Falle Rehnig darüber einige aufklärende Worte gesagt hat. Diese Methoden aber sind nicht nur am Wahltage üblich gewesen, sogar gestern am Tage haben – natürlich – Protestkundgebungen des Reichsbanners in Berlin gegen den Freispruch über Rehnig stattgefunden, und man maßte sich mit einer Selbstverständlichkeit, die alle Symptome des Großenwahns an sich trägt, die „Absperrung“ und „Säuberung“ der umliegenden Straßen an. Mag an manchen Orten des Vaterlandes in den Reichen des Reichsbanners eine Vernunft einkehren, die das Radaumäßige abstreifen will, mit dem das erste Auftreten dieser Bewegung seinerzeit eingeleitet wurde, mögen auf der großen Tagung in Magdeburg Herr Hörsing und andere einige durchaus verständige Worte geredet haben, in Berlin ist , wie auch an einigen anderen Orten, von dieser inneren Wandlung noch nichts zu spüren, und von der „Demokratie“, in deren Namen das Reichsbanner mit Vorliebe aufzutreten pflegt, erst recht nichts. Hier herrscht der Terror, der auch mit keiner Mine verleugnet, daß er von rein sozialdemokratischen Eltern stammt. Hier verrät sich der Geist derselben Leute, die im Reichstage, als es galt, eine Stätte für die Büste Eberts zu finden, diese Ehrung, der auch wir uns im Geiste gerne Anschließen, dazu benutzten, um die Bilder Bismarcks und Moltkes in irgendeine dunkel Ecke zu verbannen. Erst der dafür zuständige Ausschuß hat diese gassenbübische Takt- und Pietätlosigkeit schließlich verhindert. Man darf es ruhig sagen: So frivol und würdelos der Flaggenwechsel in Weimar war, die Wogen der Entrüstung darüber wären vielleicht längst soweit zur Ruhe gekommen, das das deutsche Volk auch hier den Status quo in Kauf genommen hätte; aber die Intoleranz und Arroganz, mit der uns von seinen Aposteln und Prätorianern der Nachnovember serviert wird, die wird niemals den Wunsch schlafen lassen, daß es eines Tages damit radikal zu Ende sei. Die Präsidentenwahl hat bereits über den Stimmungsumschlag in Deutschland Auskunft gegeben. Wenn die schwarz-weiß-rote Flagge wieder über Deutschland weht, so werden die eifrigsten Totengräber der schwarz-rot-goldenen im Lager des Reichsbanners zu suchen sein.
Dr. F.
Zusammenstellung: Ralf Hermes, 29.04.2020