Quellendokument: „Gautagung der Polizeibeamten“ – Nds. Volksstimme vom 14.12.1932

Abschrift: Niedersächsischer Volksstimme vom 14. 12.1932, Nr. 293, 14. Jahrgang:

„Gautagung der Polizeibeamten“

Eine böse Abfuhr der Nazis – Anerkennung der Leitungen der Regierung Braun-Severing

Anlässlich der Gautagung Mitte des Verbandes Preußischer Polizeibeamten berichteten wir
schon kurz über die erfreuliche Entschiedenheit, mit der die Verbandsführung
unter stürmischen Beifall der Delegierten von den zersetzenden Wühlereien der
Nazis unter der Polizeibeamtenschaft abrückte und erneut ein klares Bekenntnis
zur republikanisch-demokratischen Verfassung und Staatsform ablegte. Wir können
nun noch von einem besonderen Vorfall auf der Tagung berichten.

Die hannoverschen Nazis hatten sich bemüßigt gefühlt, vor dem Tagungslokal
Flugblätter zu verbreiten. In diesen wurden schwere Angriffe gegen die Leitung
des Schrader-Verbandes gerichtet., vor allem in finanzieller Hinsicht. Alle
Fragen bzw. Behauptungen des Flugblattes waren in einem Ton abgefaßt, der der
Rauheit des von den Nazis ersehnten Dritten Reiches alle Ehre macht.

Die leitenden Persönlichkeiten des Schrader Verbandes haben sofort in öffentlicher
Tagung dazu Stellung genommen und die in dem Flugblatt erhobenen Angriffe Punkt
für Punkt derart zerpflückt, daß nach einmütiger Überzeugung der Versammlung
auch nicht der schäbigste Rest davon übrig blieb. Wer das, was in dem Flugblatt
stehe, über den Verband verbreite, sei ein Verleumder, der mit seinen
Verleumdungen nur den Zweck verfolge, den Zusammenhalt des Verbandes zu stören
und zu schädigen.

Uns scheint an der ganzen Sache wichtig, daß die Nazis jetzt, nachdem sie bei der
Polizeibeamtenschaft nicht gütlich und friedlich Fuß fassen konnten, nach ihrer
altbewährten Methode darangehen, auf dem ihnen viel besser liegenden Wege
lügenhafter Verhetzung in die republikanisch-demokratische Geschlossenheit und
Zuverlässigkeit der Polizei Keile hineinzutreiben. Wir stellen mit Genugtuung
fest, daß ihnen das schon auf den ersten Anhieb gründlich mißlungen ist.
Jedenfalls pflegt der Schrader-Verband nach guter gewerkschaftlicher Art seine
Abrechnung ganz öffentlich vorzulegen. Wer aber hat schon irgendwo von
öffentlicher Rechnungslegung hiesiger oder anderer Naziführer bis hinauf zum
großen XXXX etwas zu sehen bekommen? Und diese Kerle, die wahrhaftig im
allerbrüchtigsten Glashause sitzen, wollen andere Leute mit Steinen bewerfen!
Immerhin wird die Polizeibeamtenschaft, besonders die hannoversche, auch aus diesem
Vorfall erkennen, was für noble Charaktere doch die Edelinge des Dritten
Reiches sind.

Von der Tagung ist im übrigen noch zu melden, daß in den Berichten mehrfach die
großen Bemühungen der Regierung Braun-Severing um das Wohl der Polizei in
vollem Umfange lobend anerkannt wurden. Der Vorsitzende, Brebeck, stellte z.B.
fest, daß durch das Polizeibeamtengesetz sehr viel für die Vereinheitlichung
der Polizei geschehen sei, und das durch die vom Staat herausgegebenen Formvorschriften
über die Anzahl der Beförderungsstellen kein von der Schutzpolizei zur
kommunalen Polizei übergehender Beamter im Gehalt zurückgestuft werden könne.
Das seien gewaltige Fortschritte, an die man vor Jahren selbst nicht geglaubt
habe. Aber wenn man die Schutzpolizei allein ansehe, müsse man sagen: In einem
Jahrzehnt solch kolossaler Entwicklung vom Versorgungsanwärter bis zum
vorzüglich ausgebildeten, lebenslänglich angestellten Beamten. Man müsse ferner
anerkennen, daß der preußische Staat schon vor Jahren die Verstaatlichung der
kommunalen Polizei großzügig habe durchführen wollen, wenn ihm nicht von
anderer Seite her sehr erschwerend in den Arm gefallen worden sei. Der
Berichterstatter für die Gruppe Schutzpolizei, Polizeiwachtmeister Hesse,
stellte ebenfalls fest, daß seit dem Jahr 1921 eine dauernde Verbesserung der
Aufstiegsmöglichkeiten zu verzeichnen gewesen sei.

Und jetzt? Nachdem die Regierung Braun-Severin durch die von den Nazis
hervorgerufenen und gestützten reaktionären Einflüsse an praktischer Arbeit
gehindert wird?! Jetzt wird u.a. vom Berichterstatter für die Schutzpolizei
festgestellt, daß in jüngster Zeit anscheinend immer mehr Wert auf die
körperliche statt auf die geistige Ausbildung der Polizeibeamtenschaft gelegt
wird. Die eigentlichen Zusammenhänge seien noch nicht zu erkennen. Man habe
aber verbandsseitig die Auffassung, daß die Beamtenschaft um so mehr wert sei,
je besser sie man mit den Gesetzesbestimmungen vertraut werden lasse. Ja, noch
viel schlimmer: Jetzt ist es schon dahin gekommen, daß der erste von rund 200
Anträgen des Gautages lautete: „Der Verbandsvorstand wird beauftragt, mit allen
Mitteln dafür einzutreten, daß den Polizeibeamten das Wahlrecht und die
Koalitionsfreiheit erhalten bleibt.“ Dieser von der Bezirksgruppe Hannover
gestellte Antrag wurde einstimmig angenommen. Daß er überhaupt gestellt werden
mußte, ist bezeichnender für die Situation als alles andere. Hoffentlich sind
die Polizeibeamten sich nicht im unklaren darüber, wem sie solche
katastrophalen Entwicklung zu verdanken haben. Und hoffentlich ziehen sie
daraus die richtigen Folgerungen. Solange sie noch im Besitz ihrer staatsbürgerlichen
und verfassungsmäßigen Rechte sind, mit deren drohenden Verlaust sie ja schon
selbst sehr ernsthaft zu rechnen scheinen.


Quelle / Original im Stadtarchiv Hameln



herral, 19.09.2023

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