Erlass: Verbandswesen in der Polizei – 18.01.1922

Preuß. Minister des Innern Severing

Vf.d.M.d.I. vom 18.01.1922 – II B 268, betr. das Verbandswesen in der Polizei

Das der Polizeibeamtenschaft auf Grund der Bestimmungen der Reichsverfassung über Koalitionsfreiheit zustehende Recht, Beamtenverbände zu bilden, wirkt sich zum Teil in einer Weise aus, die dem Ansehen der Polizei beider Bevölkerung, der Beamtenzucht und der Kameradschaft innerhalb der Beamtenschaft und damit der Erfüllung der ohnehin überaus schwierigen polizeilichen Aufgaben abträglich ist. so sehr ich auch anerkenne, daß die Tätigkeit der Beamtenverbände für die gesamte Beamtenschaft und für den Staat sehr segensreich sein kann, wenn die Verbände durch Anregung zu Verbesserungen, durch Hinweis auf Mängel und Übelstände grundsätzlicher Art, durch Aufklärung der Beamtenschaft über die Absichten der Dienststellen und die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen die Tätigkeit der Behörden unterstützten und so gleichzeitig das Wohl der Beamtenschaft wie des Staates zu fördern, so muß ich doch auch die Mißstände beachten, die nur zu leicht aus einer unzweckmäßigen Verbandstätigkeit entstehen können.

Die Disziplin wird gefährdet, wenn die Verbände ohne Rücksicht auf die finanziellen Möglichkeiten des Staates nur auf eine bessere wirtschaftliche Lage und Erweiterung der Rechte der Beamten drängen, die angesichts der Erfüllungsverpflichtung des Reiches und der Aufgaben des Staates nicht immer sofort und in dem gewünschten Umfang gewährt werden können.

Die Kameradschaft und damit, das fest Gefüge der Polizei wird zerstört, wenn innerhalb der Polizei die Beamten sich je nach ihrer Verbandszugehörigkeit feindlich gegenüberstehen, sich auf das heftigste befehden und dadurch Mißtrauen und Unzufriedenheit untereinander verbreiten. Das Ansehen der Polizei bei der Bevölkerung wird geschädigt, wenn in öffentlichen Versammlungen dieser Kampf der Verbände in schärfsten Formen ausgetragen wird oder wenn die Vorgesetzten und die Behörden in ungehöriger Weise angegriffen werden.

Ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, daß die erwähnten Gefahren in jüngster Zeit besonders offenkundig geworden sind, seit die Spaltung der Organisation und deren Kampf gegeneinander und dahin geführt hat, daß die Verbände in dem Bestreben, sich gegenseitig zu überbieten, weit über das Ziel eine gesunden Verbandspolitik hinausschießen. Die Erhebung unerfüllbarer Forderungen, die Kampfstellung gegen die verschiedensten Dienststellen, unliebsame, mit dem Ansehen der Beamten nicht vereinbare Auftritte bei Versammlungen und Übergriffe in der Tonart bei mündlichen oder schriftlichen Vorstellungen den Behörden gegenüber sind mehrfach vorgekommen, so daß ich die gesamte Beamtenschaft und namentlich die Verbandführer mit allem Ernste auf diese Gefahren hinweise und sie warne, auf dem betretenen Wege fortzufahren.

Für das Verhalten der Dienststellen gegenüber den Verbänden sind in Zukunft folgende Richtlinien maßgebend:

  1. Die der Polizeibeamtenschaft durch die Reichsverfassung gewährte Koalitionsfreiheit ist von allen Dienststellen und allen Vorgesetzten unbedingt zu achten. Jede grundsätzliche Bekämpfung der Verbände als solche, namentlich jeder Politik der Nadelstiche ist durchaus unstatthaft. Der Grundsatz der Koalitionsfreiheit bedeutet, daß keinem Beamten aus der Tatsache, daß er sich einem Verbande angeschlossen hat, sich darin betätigt, Versammlungen besucht usw., irgend ein Nachteil erwachsen darf. Andererseits gibt die Koalitionsfreiheit in keiner Weise einen Freibrief für alle im Rahmen der Verbandstätigkeit oder anläßlich einer Versammlung begangenen Handlungen oder getanen Äußerungen. Eine Verletzung der Amtsverschwiegenheit, eine unkameradschaftliche Verleumdung, die auf einer Versammlung begangen wird, ist genau so strafbar, als hätte sich der Vorfall in sonstigen Verkehr ereignet. Das Verbot der parteipolitischen Betätigung der Schutzpolizeibeamten im Dienste, in den Unterkunftsräumen und in den Dienstgebäuden, sowie das Verbot der Beteiligung an einer Organisation oder die Mitwirkung bei Bestrebungen, welche die Verfassung auf nicht gesetzmäßigem Wege ändern wollen, und jeder Betätigung in diesem Sinne bleiben in vollem Umfange aufrecht erhalten.
  2. Allen Verbänden gegenüber ist strengste Neutralität zu währen. Die vorgesetzten haben auf die Beamten keinerlei Druck auszuüben, diesem oder jenem Verbande beizutreten oder nicht beizutreten.
  3. Anregungen und Eingaben der Beamtenverbände, welche allgemeine Interessen der Polizeibeamtenschaft eines bestimmten Bezirks oder einer Gruppe derselben betreffen, sind von den Dienststellen sachgemäß zu bearbeiten oder an die zunächst zuständigen Stellen zu demselben Zwecke abzugeben. Die Aufsichtsbehörden sollen sich mit den Eingaben erste befassen, wenn die zunächst zuständigen örtlichen Stellen die Eingaben abgelehnt haben. Auf dem genannten Gebiete sollen alle Dienststellen auch ihrerseits auf ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten mit den Verbänden hinwirken.
  4. Die Verbände sind nicht berufen, Wünsche und Beschwerden einzelner Beamten, soweit es sich dabei nicht gleichzeitig um Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung für die Allgemeinheit der Beamtenschaft handelt, bei den vorgesetzten Behörden zur Sprache zu bringen oder zu verfolgen. Die Mitwirkung in diesen Angelegenheiten gehört gegebenenfalls ausschließlich zu dem Aufgabenkreis der auf Grund der Bestimmungen der Preußischen Staatsregierung vom 24.03.1919 errichteten Beamtenausschüsse. Gehen gleichwohl derartige Beschwerden seitens der Verbände ein, so sind sie den zuständigen Dienststellen zur Kenntnisnahme und gegebenenfalls zur weiteren Veranlassung zu übersenden. Den Verbänden ist auf diese Eingaben Formularbescheid über die Abgabe zu erteilen.
  5. Eingaben der Verbände in ungehöriger Form sind unter entsprechender Eröffnung zurückzugeben. Ich erwarte von der Beamtenschaft, daß sie die ihr gewährleistete Koalitionsfreiheit so betätigt, daß das besondere Treueverhältnis zwischen Staat und Beamten in jeder Hinsicht voll gewahrt bleibt und die Erfüllung der polizeilichen Aufgaben, die in voller Selbstzucht ihre Pflicht erfüllt, wird im Volke und bei der Volksvertretung uneingeschränktes Vertrauen, damit aber zugleich die Aussicht haben, mit ihren Wünschen auf Hebung ihrer wirtschaftlichen Stellung durchzudringen.

An alle nachgeordneten Dienststellen.

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