Wie lebten die „einfachen“ Menschen?

Vom 1. Mai bis zum 30.September 1982 zeigte eine Ausstellung der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg eine Ausstellung „Vorwärts- und nicht vergessen. Arbeiterkultur in Hamburg um 1930“. Ich habe im Antiquariat für 6 Euro das Ausstellungsbuch 329 Seiten und einer Vielzahl von beeindruckenden Bildern und spannenden Texten ersteigert.

Hier ein Auszug aus den Seiten 44 und 45 zur Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit

Wachsende Arbeitslosigkeit im Reich

Massenhafte, ständig zunehmende Arbeitslogiskeit kennzeichnete die Zeit zwischen 1928 und 1933. Schon 1928 gab es zwei Millionen Erwerbslose, eine Folge der zunehmenden Rationalisierungsmaßnahmen in den Betrieben. Die Weltwirtschaftskrise beweirkt seit 1928 Auftragseinbußen, Produktionseinschränkung, Stillegungen und Konkurse. Für die Arbeiterschaft bedeutete das Kurzarbeit und Entlassungen in großem Ausmaß. Die Arbeitslosenzahl im Reich stieg rapide an: 1930 auf 22 Prozent. 1932 auf 44 Prozent, d.h. die Erwerbslosenzahl belief sich auf über sechs Millionen Menschen. Die Zahl erfasste nicht die Kurzarbeiter und jene, die es aufgegeben hatten, sich beim Arbeitsamt zu melden. …

Physische Auswirkungen der Arbeitslosigkeit

Die Erwerbslosenunterstützung betrug 1930 weniger als die Hälfte des vorherigen Einkommens. Da die Notverordnungen die Leistungen immer stärker einschränkten, gerieten viele Familien bei länger währender Arbeitslosigkeit in bitterste Not. Die Unterstützung reichte nicht zum Leben. Allein die Miete schluckte mindestens ein Drittel, häufiger mehr als die Hälfte des kümmerlichen Betrages.

Hunger, körperlich Schwäche und Anfälligkeiten für Krankheit waren die physischen Folgen der Dauererwerbslosigkeit. Viel ältere Erwerbslose gaben den Kampf um ihre Existenz auf. Nachdem sie ihren Besitz ins Leihaus gebracht hatten, verhungerten oder erfroren sie in elenden Behausungen ohne Feuerung.

Physische Folgen

Die seelischen Auswirkungen der unfreiwilligen Untätigkeit waren gravierend: Verlust von Selbstsicherheit und ansehen, plötzliche Vereinzelung aus der Gemeinschaft der Arbeitenden. Die Menschen wurden Depressiv und anfällig für politische Verketzerung.

Die Gedanken eines Arbeitslosen:

Ich martr mich über „Wo“ und „Wie“, hetze mich müde durch die Straßen. Ich komme mir vor wie ein Hundevieh – So wertlos, gekränkt und verlassen.

Die Füße brennen vom Pflasterstein. Ohne Sohlen lauf ich seit Wochen. Man blickt mir in Gesicht hinein, als hätt ich was Böses verbrochen.

Ich fürchte die Nacht, die mich schreckt, im Traum verfolgen mich Sorgen! Wie oft hat mich das Grauen geweckt, vor dem dürren, brotlosen Morgen!

Arbeitslos, ein verfluchtes Los! Es wächst die hungrige Schlange. füllt Straßen und Städte, wächst riesengroß… Noch ist sie geduldig…! Wie lange?

Hans Marchwitza, 1929

Zeitsymptom Selbstmord

„Ein trauriges Zeitsymptom ist die Zunahme des Selbstmords. Man kann heute geradezu von einem Bilanzselbstmord sprechen. Dieser Faktor schwillt an, so daß sich die Selbstmorde gegenüber der Vorkriegszeit schon verdoppelt haben, mehrfach in der traurigsten Form des Familienselbstmordes.“

Hamburger Nachrichten. 29. Januar 1932

„Man konnte nichts weiter tun“

„Ich war damals 19 und insgesamt fünf Jahre arbeitslos. Jeden Tag muße ich stempeln gehen, man hatte einen halben Tag zu tun, um den Stempel zu kriegen. Es gab 5 Mark in der Woche. Da ich zu Hause wohnte, gab ich alles ab und behielt nur ein paar Groschen fürs Rauchen. Vom Kohlhöfen ging ich dann zum Gänsemarkt, da war der „Generalanzeiger“ da kriegt man die Zettel mit den Arbeitsangeboten. Für jede Stelle gab es Dutzende von Bewerbern. Und die Stellen wurden einem so billig angeboten, daß man mehr Unterstützung vom Arbeitsamt kriegte. Das brachte alles nichts. man konnte auch nicht weiter tun, man muße zurückstecken. Es fehlte an Geld und an den notwendigsten Täglichen Sachen. Ich habe zwischendurch Gelegenheitsarbeiten gemacht, ohne Papiere schwarz gearbeitet. Erst 1936/37 habe ich als Kraftfahrer wieder Arbeit gekriegt, bin später zur Polizei gegangen. Die Löhne sind 1933 nicht gestiegen, es gab ja keine Tarife mehr. Da hat sich nicht gleich alles geändert, man hat dann so weitergemacht.“

Hermann Sanne * erzählt von seiner Arbeitslosigkeit

Vollbeschäftigung durch Krieg

Das Nationalsozialistische Regimeversuchte mit dirigistischen Maßnahmen und geschickten Arbeitsbeschaffungsprogrammen die Massenarbeitslosigkeit abzubauen. Es raubte die Rechte der Arbeiterschaft auf Organisation in politischen Parteien und Gewerkschaften, das Streikrecht und das Recht auf kollektive Tarifverträge. Hitler stellet die Wirtschaft unter staatlicher Aufsicht und schrieb vor, was produziert werden sollte. Durch gewaltige Ankurbelung und Steigerung der Rüstungsproduktion, große staatliche Aufträge , wie den Bau der Reichsautobahn, und kategorische Einführung des Arbeitsdienstes für die Jugend wurde die Arbeitslosigkeit zwar nicht wirklich beseitigt, aber allgemein der Eindruck einer Verbesserung erweckt. Erst 1936 war die Arbeitslosigkeit wieder auf dem Stand wie vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise (ca. 1,5 Millionen). Im Sommer 1939 war dann durch vollkommene Umstellung der Wirtschaft auf den kommenden Krieg die Vollbeschäftigung erreicht.

*Nachtrag zu Hermann Sanne: Sanne war ein Selfmade-Geschäftsmann, der nach dem Krieg als kleiner Schrotthändler begann und sich ein lukratives Imperium aufgebaut hatte, das sich vor allem durch Altpapier speiste. – Quelle: https://www.shz.de/87474 ©2019

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