Lesenswerte Zeitungskurzmeldungen der Ausgabe:
Anarchie im Franzen-Reich.
Seit der Nationalsozialist Franzen der maßgebende Mann der Braunschweiger Regierung geworden ist, haben sich in diesem Lande Zustände herausgebildet, die fast an Anarchie grenzen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Republikaner von Nationalsozialisten überfallen und mißhandelt werden. Und das nicht selten unter der offenen Duldung der Polizei! So haben am 13. (oder 18. -schwer lesbar) Juni nationalsozialistische Sturmabteilungen bei einem Umzug durch Braunschweig unter den Augen der Polizei trotz Notverordnung mit Stahlruten in der Hand marschieren und auf Straßenpassanten einschlagen dürfen. Von einem Überfallwagen der Polizei wurden vorübermarschierende Hakenkreuzler mit dem Hitlerruf begrüßt! Wenn im Braunschweigischen Landtag der nationalsozialistische Landtagspräsident Zörner kaltschnäuzig behaupten kann, daß das Reichsbanner gemordet habe, dann braucht man sich allerdings nicht darüber zu wundern, daß die SA.-Leute der Hitlerpartei auf den Straßen wie Verbrecher hausen.
Der Gauvorstand des Reichsbanners hat gegenüber diesen Zuständen Schritte beim Reichsinnenminister unternommen. Sollte nicht sehr schnell diesen Dingen im Braunschweig ein Ende bereitet werden, dann wird das Reichsbanner kaum noch in der Lange sein, seine Mitglieder daran zu hindern, sich selbst vor der Wiederholung solcher Vorfälle zu schützen.
Die „Volksbefreier“
Der Nazi-Abgeordnete Ulrich (Kassel) erhielt am 15. Dezember 1930 im Kriegsgeschädigten-Ausschuss des Reichstages die Petition eines Kriegsbeschädigten zur Bearbeitung, der aus besonderer Notlage heraus um eine einmalige Weihnachtsbeihilfe bat. Eine schriftliche Mitteilung Ulrichs in der Sache erging erst am 5. Februar 1931. Dann ließ er – weil er mit den anderen Nazis aus dem Reichstag auszog – die Petition unerledigt liegen.
„Halt die Schnauze, Kerl! – Ihr solltet schon überglücklich sein, überhaupt ein Bittgesuch an uns richten zu dürfen!“
Zeitungsgrafik:
Gedicht: Der Fabrikwächter
Sekundenlang kreuzt er den Lichtschein einer Laterne, Schattenhaft gleitet er wieder zurück in das Dunkel der Nacht. In der schwarzen Wölbung des Himmels glitzern verstreute Sterne, breitgeduckt am Boden liegt die Fabrik, die der Schatten bewacht.
Stunde um Stunde streift sein Schritt um sie, die er behüten muß, wie eine riesige Spinne liegt sie da, glotzt mit Augen aus Glas. Stumm umkreist sie der Wächter mit unermüdlichem Fuß, der Hund an seiner Seite schnüffelt und wühlt im welken Gras.
Fernhin blinken Straßenlaternen, ein Betrunkener schreit, irgendwo pfeift ein Zug durch die Nacht, ein Wagenrollen verhallt. Um den schweigsamen Mann lagert breit lauernde Dunkelheit, und der Nachtwind umweht ihn nässend und kalt.
Wieder und wieder macht er die Runde, das Schlüsselbund klirrt lautlos umstreift ihn der Hund. – Wie langsam die Nacht verrinnt. Suchend blickt der Wächter nach Osten, ob es nicht Morgen wird. Irgendwo schlaft sein Weib, lächelt im Träume sein Kind.
Walter Dehmel
Zeitungsanzeigen:
Martyrium eines Lehrers
In dem Dorf Kelze, nördlich von Kassel, hat sich ein unerhörter Vorfall zugetragen. Seit mehr als einem Jahr steht die Jugend des Dorfes in stärkstem Gegensatz zu dem Lehrer Teschke, der sich wiederholt gegen das besonders rohe Treiben dieser Jugend gewandt hatte. In der Nacht vom Sonntag, dem 14. Juni, zum Montag, dem 15. Juni, zog nun gegen 4 Uhr früh eine Gruppe Jugendlicher vor das Schulhaus und warf die Fensterscheiben ein. Als der Lehrer Teschke die Tür öffnete und die Burschen zur Ruhe weis, fielen sie über ihn her und schlugen ihn mit schweren Steinen zu Boden. In höchster Bedrängnis zog Teschke eine Pistole und schoss im Liegen auf seine Angreifer. Drei von ihnen wurden verletzt. Der Lehrer und einer der Verletzten mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Wer als treibende Kraft hinter dem Vorgehen gegen den Lehrer, der Republikaner ist, steht, geht ganz eindeutig hervor aus der Tatsache, daß nach diesem Vorfall die Frau des Lehrers von dem nationalistisch gesinnten Bauern des Dorfes keine Milch für ihre Kinder erhalten konnte!
Lüge als Methode
Der „Völkische Beobachter“ veröffentlichte am Kopfe des Blattes in großer Aufmachung und schwarz umrändert die Mitteilung, dass der SA.-Mann Joseph Weber (Strumbann Thiemgau) seinen Verletzungen erlegen sei, die ihm von „Ebersberger Rotgardisten in viehischer Weise beigebracht worden waren“. In einem besonderen Artikel wird dann mitgeteilt, daß am 29. März d.J. dieser Weber in Ebersberg „von etwa 25 bis 30 Reichsbannerstrolchen niedergeschlagen“ worden sei. Diese Behauptung ist eine Lüge. Weder gibt es in Ebersberg eine Reichsbannergruppe, noch sind an dem genannten Rage Reichsbannerleute von auswärts in Ebersberg gewesen!
Die sich dauernd wiederholenden Falschmeldungen des „Völkischen Beobachters“ verfolgen ganz offensichtlich den Zweck, die Aufmerksamkeit von den Ausschreitungen abzulenken, die fast täglich von Nationalsozialisten begangen werden.
Verunglückt im Reichsbannerdienst
Gerade in dem Augenblick, in dem wir die redaktionelle Arbeit für diese Nummer abschließen wollten, ging uns eine erschütternde Nachricht zu. Am Sonnabend, dem 20. Juni, war das Tambourkorps unsrer Ortsgruppe Ilmenau mit dem Lastauto nach Großbreitenbach gefahren, um dort bei einer Reichsbannerveranstaltung zu spielen. Auf der Rückfahrt ereignete sich im Nährenbach ein schwerer Unglücksfall. Die Straße fällt hier steil ab und macht mitten im Orte eine ungewöhnlich scharfe Kurve. In dieser Kurve fuhr der Wagen gegen eine vorstehende Steintreppe und kippte um. Der Führer des Wagens, der Sohn eines Mineralwasserfabrikanten aus Ilmenau, war sofort tot. Der Kamerad Keßler wurde so schwer verletzt, daß er am Sonntag, dem 21. Juni , morgens, gestorben ist. Drei Kameraden befinden sich zur Zeit, wo diese Zeilen geschrieben werden, noch in Lebensgefahr. Neun Kameraden wurden schwer, sieben leicht verletzt; nur zwei Kameraden blieben unverletzt.
Das Unglück ist um so unverständlicher, als der Führer des Wagens die Straße genau kennt, da er sie fast täglich befahren hat. Auch kann Trunkenheit nicht die Ursache des Unfalls sein, da der Fahrer auf der ganzen Fahrt nicht eine Tropfen Alkohol zu sich genommen hatte. Das Reichsbanner wird den Opfern dieses Unglücks ein bleibendes Andenken bewahren und wünscht seinen verletzten Kameraden baldige Genesung.
Auf nach Koblenz
Kameraden! Unsre rheinländischen Kameraden treffen sich am 8. und 9. August zu Koblenz in einem großen Gauaufmarsch. Zu Koblenz ist im Vorjahr jene aufreizende Massendemonstration des Stahlhelms mit drohender Front gegen den „Erbfeind“ abgerollt. Zu Koblenz sind Zehntausende irregeleiteter alter Frontkameraden, Zehntausende aus einer mit nationalistischen Phrasen trunken gemachten Stahlhelmjugend aufmarschiert, während auf der Ehrentribüne eine offizielle Schwarzhemdenabordnung mit römischem Gruß von diesen deutschen Patrioten sich huldigen ließ.
Kameraden! Zu unsern Reihen stehen nicht die Generaldirektoren von Kohle, Stahl und eisen, die Sohne des Besitzbürgertums, die feudalen Studentenkorps, die Großpensionäre der Republik, die Barone und Grafen des ostelbischen Grundbesitzes, die Sohne Wilhelms von Doorn, des reichsten Mannes Deutschlands. Schwer lastet allüberall die Not der Zeit auf unsern Kameraden, unsern Kriegsteilnehmern und Kriegsteilnehmersöhnen. Massenaufmärsche aus dem ganzen Reiche könnten wir unsern Gauen heute nur zumuten, wenn die verantwortliche Staatgewalt uns zum Hilfsdienst aufruft.
Kameraden! Wer immer noch aber auch heute sich die Groschen zu einer Sommerfahrt aufsparen kann, der eile zu unsern rheinländischen Brüdern nach Koblenz! Wo immer es opferwillig ermöglicht werden kann, schickt Abordnungen unsrer Kameraden! Der Stahlhelm- und Hakenkreuzhetze gegenüber muß auch dieser rheinländische Gauaufmarsch werden ein Reichsbannerbekenntnis zu würdiger Friedenspolitik, zu freiheitlicher Selbstbeherrschung, zu europäischem Gemeinschaftsgeist. Auf nach Koblenz!
PPT als PDF: