Quellentext Theodor Haubach: „Wir brachen den Ansturm“ Zeitung Das Reichsbanner vom 31.12.1932 und Infosammlung zum Autor

Hameln, 26.12.2023: Abschrift zum Jahreswechsel 1932-1933 aus der Wochenzeitung der Eisernen Front Nr. 53

Der Schlag der zwölften Stunde rollt. Das Jahr 1932 ist vorüber, und was heute Gegenwart war, gehört morgen dem verschlingenden Abgrund der Vergangenheit. Es war ein furchtbares Jahr, ein Jahr der beispiellosen Not, ein Jahr beispielloser Kämpfe und ein Jahr der beispiellosen Opfer. In der Geschichte Deutschlands wird das Jahr 1932 mit ehernen Lettern eingegraben sein als ein Jahr politischer Katastrophen und schwerster sozialer Erschütterungen — in der Geschichte des Reichsbanners steht es eingeschrieben als ein Jahr heroischer Kämpfe und übermenschlicher Leistungen.

Wir sahen Kabinette stürzen, erlebten verzweifelte und fruchtlose Wahlkämpfe, den stürmischen Weiteraufstieg der NSDAP, ihren Höhepunkt und ihren Rückfall, den Sieg der legal maskierten Restauration, die Zertrümmerung des republikanischen Preußens, die auf lange Zeit hinaus wohl endgültige Selbstentmachtung des Parlaments, die Entwicklung der sogenannten Präsidial-Diktatur, die weitgehende Zerschlagung der demokratischen Freiheitsrechte und den gewalttätigsten aller Angriffe gegen die Sozialrechte des arbeitenden Volkes. Das Jahr schließt mit Ungewißheit und Unsicherheit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Niemand vermag zu sagen, ob die tiefgehende Staatskrise der Weimarer Republik im kommenden Jahr mit normalen politischen Mitteln behoben werden kann. Niemand kann sagen, ob das in der Geschichte aller Zeiten und Völker beispiellose Wirtschaftselend überhaupt nur gemildert, geschweige denn beseitigt werden kann. Allenthalben spricht man davon, daß der Tiefpunkt der Wirtschaftskrise erreicht sei, und eine so hochoffizielle Stelle wie das Institut für Konjunkturforschung glaubt sich zu der Feststellung berechtigt, daß nunmehr endgültig die Talsohle des Wirtschaftsabschwungs erreicht sei. Die verzweifelten Massen hören eine solche Botschaft ohne Glaube, es könnte eine Weihnachtsbotschaft sein, aber es ist eine Botschaft ohne die Klarheit des Herrn, von der die Schrift spricht, eine Botschaft, gegen die aber berechtigte Zweifel aufsteht, denn schon lange steht fest, daß die deutsche Wirtschaftskrise nicht lediglich wirtschaftliche Ursachen hat, sondern durch die fürchterliche politische Entwicklung überschärft ist. An Anstrengungen fehlt es nicht, das auf Sand gelaufene Wirtschaftsschiff wieder flott zu machen, aber das Schlagwort von der Wirtschaftsankurbelung ist bereits zum Spottwort geworden, und mit Erbitterung sehen die Massen, wie unter der Parole der Wirtschaftsbelebung den von alters her in Deutschland bevorzugten Kreisen der Industrie, des Hausbesitzes und Großgrundbesitzes willkürliche und verhängnisvolle Subventionen bewilligt werden, die in diesen Fässern ohne Boden auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Millionen Erwerbsloser haben Hoffnung und Glauben begraben.

Im Sturmschritt hat das Unheil seinen Lauf genommen. Da war das Kabinett Brüning, sicher kein ideales Kabinett aber immerhin von dem redlichen Willen beseelt, einen letzten Damm gegen die Sturmflut des politischen und wirtschaftlichen Chaos zu bilden. Es war das vorläufig letzte Kabinett, das eine knappe, aber doch auch klare parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte. Aber wie alle Kabinette dieser Republik verstand es sich auf alles mögliche, nur nicht auf Machtfragen. Während es regierte und lavierte und zwischen der stetig wachsenden Präsidialgewalt und dem Parlament zu vermitteln suchte, setzte die bewaffnete Macht, die Exekutive eben dieser Regierung, zum politischen Gegenstoß an und zertrümmerte Brünings mühsames und schließlich auch erfolgloses Werk. Am 30. Mai zerbrach das Kabinett Brüning, äußerlich gesehen in einem Konflikt mit dem Reichspräsidenten, in Wirklichkeit an dem Widerstand der politisierten Generalität, an der Eigenbewegung der bewaffneten Macht, die sich nicht erst im Jahre 1932 zu einem Staat im Staate entwickelt hat. Es kam am 2. Juni das Kabinett Papen, für alle Zeiten mit dem Ruf der gewalttätigsten Reaktion behaftet, ein Kabinett der feinen Leute, ein Klub-Kabinett ohne Anhang und Widerhall im Volke, das die Politik der großen Industrie-Konzerne, des ostelbischen Junkertums und des nationalistischen Straßenmobs in unheiliger Dreieinigkeit mit höchster Konzentration zur Durchführung brachte. Es kam der verhängnisvolle 20. Juli der Preußens verfassungsmäßige, wenn auch geschäftsführende Regierung mit militärischer Gewalt beseitigte und damit die wichtigsten Rechtsgarantien der Verfassung ins Wanken brachte. Es half wenig, daß das Kabinett Papen, dass Wind gesät hatte, nun Sturm erntete, und daß die Reichstagswahlen vom 31. Juli und vom 6. November eine vernichtende Absage an das Herrenklub-Regiment erbrachten. Die Mehrheit, die gegen Papen zustande kam, war keine echte Mehrheit, sie war eine negative Mehrheit ohne einheitliches Ziel und enthielt ihrem Kern eine gefährliche Doppelbedeutung: Nationalsozialisten und Kommunisten ergaben, wie schon bei den preußischen Landtagswahlen am 24. April, eine Mehrheit gegen die Verfassung, eine Mehrheit gegen Republik und Demokratie, und wenn auch diese Mehrheit nicht einheitlich war, sondern von zwei sich widerstrebenden Flügeln gebildet wurde, so ist es doch diese Mehrheit gewesen, die dem Diktatur-Regiment, der Militärpolitik und allen Operationen der Verfassungszerstörung ihre eigentliche tragfähige Grundlage schuf. Wer konnte sich noch in diesem Hexenkessel auskennen? Mit den Sozialdemokraten zusammen hatten die Wahlen eine Mehrheit gegen Papen und Schleicher ergeben, ohne die Sozialdemokraten eine Mehrheit gegen Verfassung und Demokratie. Die Selbstentmachtung des Parlaments wurde so vollendet. Die längst tot geglaubte junkerliche Reaktion von einst saß so mit einem Schlage wieder im Sattel, die Generalität und das Baronat konnten wieder regieren, die Rechtsgarantien der Verfassung schienen wie Staub zu zerfliegen, und die Staatskrise, längst zur Krise der Nation geworden, überschattete schwarz und dräuend die heldenmütigen Retter, die verzweifelt auf den Dämmen gegen die brausende Sturmflut kämpften.

Und dennoch und trotz allem war die Gegenwirkung mächtig im Gange. Die Parole von der Eisernen Front hatte die müde gewordenen Massen wieder elektrisiert und ihre Entschlossenheit, mit kühnen, ja mit verzweifelten Mitteln zu kämpfen, ins Übermenschliche gesteigert. Wohl war in dieser Abwehrschlacht kein vollständiger Sieg zu erringen, aber die endgültige und nie wieder gutzumachende Niederlage wurde dennoch abgewehrt. Die Eiserne Front entschloß sich, für die Wiederwahl Hindenburg-einzutreten, und in zwei grandiosen Wahlgängen wurde Hitler der Weg zu der heute entscheidenden Machtposition der Republik verlegt: H i t I e r  w u r d e  n i c h t  R e i c h s p r ä s i d e n t. Es ist heute nötig, klar und offen auszusprechen, daß die Republikaner bei ihrem Eintreten für Hindenburg kein andres Ziel im Auge hatten und daß sie dieses Ziel fürs erste wenigstens erreicht haben. Die Niederlage Hitlers war von weittragender Bedeutung. Noch am 13. März, am Tage des ersten Wahlgangs zur Reichspräsidentschaft, standen Zehntausende von SA-Leuten bereit, den erhofften Wahlsieg Hitlers in einen Gewaltsieg seiner Bürgerkriegsarmee zu verwandeln. Der Streich scheiterte, nicht zuletzt durch die beispiellose Aufmerksamkeit und Kampfbereitschaft unsrer Reichsbannerkameraden, und als dann am 10. April die Niederlage Hitlers endgültig war, ward zugleich der tödliche Konflikt ins Lager der Gegenrevolution selbst hineingetragen. Von nun an gespalten, verlor die Gegenrevolution zunächst nichts an Brutalität und Kampfeseifer. Das Verbot der SA. am 13. April, noch vom Kabinett Brüning nach langem Zögern und viel zu spät beschlossen und ohne Kraft und Willen durchgeführt, hatte die bösartigste Verbotshetze gegen das Reichsbanner zur Folge. Es ist heute kein Geheimnis mehr, aus welchen trüben Quellen das sogenannte Material gegen das Reichsbanner zusammengetragen wurde, und der beschämende Kampf um die Vernichtung der republikanischen Schutzorganisation wurde nicht dadurch schöner, daß ein bedeutsames Reichsministerium sich führend in die Auseinandersetzung einschaltete und alle geheimen und unkontrollierbaren Mittel zur Anwendung brachte, um die sauberen Wünsche der Baronie und der militärischen Feudalität zu erfüllen.

Auch dieser Streich mißlang. Die Gegenrevolution geriet selber tiefer und tiefer in die Krise hinein, die sie andern Zugedacht hatte, und zwischen Juli und November setzte der grosse Rücklauf der nationalsozialistischen Sturmflut ein. So endete das Jahr. Hitler, der das Jahr 1932 als das Jahr des Sieges proklamiert hatte, hat sich mitsamt seinem Goebbels als miserabler Prophet erwiesen und das Jahr des Sieges ist ein Jahr der vorläufigen und ersten Niederlage geworden. Wir haben den Kampf nicht gewonnen, aber den Angriff abgeschlagen. Das Reichsbanner hat in dieser unaufhörlichen Schlacht des Jahres 1932 in vorderster Front gestanden. Es hat Opfer gebracht wie noch niemals, es hat übermenschliche und beispiellose Anstrengungen auf sich genommen und steht mit sturmzerfetzten Fahnen, aber auch mit geschlossenen Formationen zu neuen Kämpfen bereit. Das Jahr hat Blutopfer gefordert, furchtbare, unersetzliche Opfer, und das Blut unsrer Kameraden hat die verzweifelt umkämpfte Freiheit Deutschlands über die tödlichen Stunden der Krise hinweggerettet. Der bleiche Mund der Toten redet heute zu den Lebenden des neu heraufziehenden Jahres. Er lehrt sie den Kampf, er lehrt sie die alles überwindende Geduld und Zähigkeit, er lehrt sie Mut, Besonnenheit und Entschlossenheit. Er lehrt sie vor allem, daß für den Mutigen kein Ding unmöglich ist und daß inmitten aller Finsternis, aller Ungewißheit und allen Zweifels nur der recht behält, der den längeren Atem, die härteren Nerven und den größeren Glauben aufbringt. Was von den Lebenden und den Toten in diesem Jahr geleistet wurde, kann mit Worten des Dankes nicht beglichen werden. Jede Anerkennung wäre eine Verkleinerung, ja eine Beschimpfung des unbekannten Reichsbannersoldaten, dessen Ruhm und Größe eine andre und bessere Zeit in gewaltigen Taten der Freiheit zu würdigen haben wird. Bleibt heute noch der Himmel schwarz, die Aussichten ungewiß und die Verzweiflung riesenhaft, in der stillen Glut, die  die Bataillone des freiheitlichen Deutschlands durchglüht, ist die Gewähr für eine neue Zukunft gegeben. Drohte nicht das abgelaufene Jahr, alles zu verschlingen, alles zu zerschlagen und alles zu zertreten, was wir aufgebaut hatten? Es hat viel zerschlagen und viel zertreten. Aber das Reichsbanner hat die Walstatt behauptet und seine Reihen zum neuen Kampf formiert. Wir treten wieder an, immer noch im Zwielicht des Zweifels und der Verzweiflung, umlagert von Ungewißheit, und unser Marsch zur neuen Schlacht führt über Moor und Sumpf, und die Wetterschläge prasseln auf uns ein. Wir haben nichts bei uns als die Gewißheit, daß die Armee, die das Jahr 1932 bestehen konnte, im Jahre 1933 nicht mehr geschlagen werden kann. Diese Armee steht, ihre Front kann niemand trennen und lockern. Die Zeichen stehen auf Sturm und Angriff.

Theodor Haubach.


Über Theodor Haubach (u.a. 1929 unter Carl Severing Pressesprecher im Reichsinnenministerium, von 1930 bis 1933 Pressechef des Berliner Polizeipräsidiums) schreibt Prof. Walter G. Oschilewski in der Zeitung Das Reichsbanner 02/1980:

Quelle: https://www.reichsbanner.de/media_rb/rb_heute/4_Zeitschriften/1980-1999/1980_02_RB_Das_Reichsbanner.pdf


Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Haubach


Gedenkstätte Plötzensee: https://www.gedenkstaette-ploetzensee.de/totenbuch/recherche/person/haubach-theodor


Gedenkstätte Deutscher Widerstand: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/theodor-haubach/?no_cache=1

Bilder mit Reichsbannerbezug

Theodor Haubach zum Gedächtnis. Bericht vom März 1985 von seinem ehemaligen Fahrer Kurt Clasen, Hamburg

Quelle: https://www.reichsbanner.de/media_rb/rb_heute/4_Zeitschriften/1980-1999/1985_01_RB_Das_Reichsbanner.pdf


herral, 05.01.2024

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