Taschenbuch. 184 Seiten. Erschienen in der Schriftenreihe Polizei & Wissenschaft, Verlag für Polizeiwissenschaft, Prof. Dr. Clemens Lorei.
Ersterscheinung: 12.04.2020.
Mein Eindruck:
Das Buch ist in der Aufmachung sachlich/unspektakulär. Ein wissenschaftliches Fachbuch mit wenigen Fotos und Grafiken. Klar gegliedert. Verständlich geschrieben ohne Ausschmückungen oder Unterhaltungen. Ein Sachbuch mit wissenschaftlichem Anspruch und konsequenter Quellennennung. Es fokussiert nicht ausschließlich auf die GdP, sondern stellt Bezüge und Zusammenhänge auch zu anderen Polizeigewerkschaften her. Neben der chronologischen Darstellung der Entwicklung ist dem Autor Dr. Manfred Reuter die Begründung und Rechtfertigung von Erkenntnissen (Genese) wichtig. Das Buch/die Studie hat das Ziel, erste grundlegende sozialwissenschaftliche Erkenntnisse über die größte Polizeigewerkschaft in Deutschland zu gewinnen.
Nun bin ich kein Wissenschaftler, sondern Polizeibeamter, GdP-Mitglied seit fast 40 Jahren mit besonderem Interesse der Gewerkschaftsentwicklung in der Historie (Schwerpunkt Weimarer Republik). Als ich das Buch am Vormittag nach dem Frühstück in die Hand nahm, wollte ich es eigentlich nur kurz durchblättern und dann den sonnigen Sonntag mit etwas Gartenarbeit verbringen. Nach den ersten Seiten musste ich mir dann Klebezettelchen und Stifte holen. Jetzt ist es Abend, ich habe das Buch durch und möchte begründen, warum es mir trotz der nüchternen Sachlichkeit gefällt:
- Es ist kein GdP-Buch, sondern ein Buch über die GdP – die Distanz, Sachlichkeit und auch kritischen Anmerkungen heben sich von einer internen Gewerkschaftsveröffentlichung ab. Es vermittelt Neutralität und Glaubwürdigkeit.
- In der Vorgeschichte vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Nationalsozialismus vermittelt der Autor auf wenigen Seiten konzentriert die wesentlichen Erkenntnisse seiner Bücher „In Treue fest – Polizeigewerkschaften in der Weimarer Republik“ und „Die Gleichschaltung der preußischen und deutschen Polizeigewerkschaften im Nationalsozialismus“.
- In der darauffolgenden klar nach Jahren/Datum strukturierten Entwicklungsgeschichte stellt er dann immer wieder konkret die Bezüge zu den ersten Gewerkschaftern der Weimarer Republik her. Die Etappenschritte sind klar in verschiedene Phasen eingeordnet. Es liest sich wie verschiedene Kalenderblätter, man bekommt sehr schnell einen Überblick, kann Daten und Zeiträume, die man gerade nicht für wichtig hält, überspringen und bleibt doch hängen bei Namen und Ereignissen. Gerade auch die Kontinuität der GdP-Entwicklung in Anknüpfung an die Weimarer Gewerkschaftsentwicklung hat mich gefesselt. Spannend und erkenntnisreich auch die Aussagen zu den anderen Gewerkschaften, die parallel immer mit betrachtet werden.
- Konkret wurde ich z.B. auf den Kriminaldirektor Kurt Fähnrich aufmerksam, der von 1955 bis 1960 als Leiter der Landeskriminalpolizei-Außenstelle Hameln (meine jetzige Dienststelle) fungierte und zudem als erster Bundesvorsitzender der (heute) DPolG – damals noch BDB/PDB – geführt wird. In alten Quellen auch als Ehrenvorsitzender. Ein Rechercheblick im Internet vertieft das, was der Autor im Buch kurz nennt. Fähnrich begann 1927/28 als Kriminalkommissar-Anwärter, wurde 1930 zur Mordinspektion versetzt und wechselte 1933 zur politischen Polizei. Zum 1. Mai 1933 trat er in die NSDAP ein, war Mitglied der SA (Truppenführer) und wurde 1939 zum Kriminalrat und 1943 zum Kriminaldirektor befördert. Im Entnazifizierungsverfahren zunächst als „Minderbelasteter / Bewährungsgruppe“ (Kat3) später dann als „Mitläufer“ (Kat4) eingestuft. Ende 1955 dann bei der Niedersächsischen Landespolizei eingestellt. Nun, es gibt noch mehr zu Herrn Fähnrich zu schreiben. Ich habe das hier beispielhaft ausgeführt, um aufzuzeigen, dass viele Ansatzpunkte für weitere Recherchen nicht nur zu Personen, sondern auch zu Sachthemen im Buch genannt werden.
- Spannend sind auf den Seiten 129 bis 146 die Vorstellungen sämtlicher Bundesvorsitzenden der GdP. In Bezug auf Kurt Fähnrich insbesondere der Vergleich der Vita des ersten GdP-Vorsitzenden Fritz Schulte als Kontrast. Mehr will ich hier nicht verraten.
- In den Schlussbetrachtungen ab Seite 147 gibt es eine chronologische Zusammenfassung. Hier wird dem eiligen Leser durch Vorblättern ein Schnellüberblick, dem kontinuierlichen Leser eine Erinnerungsauffrischung ermöglicht.
- Das sozialwissenschaftliche Fazit ab Seite 160 mit Darstellung von 19 Konfliktlinien und deren Ausprägungen spricht dann die wissenschaftlichen Leser an. Für mich war diese Methodik neu, aber interessant.
- Dem Autor (und uns als Polizei-/Gewerkschaftsgesellschaft) würde ich wünschen, dass Verantwortliche aus Gewerkschaft, Wissenschaft und Forschung die Idee des „Ernst-Schrader-Preis“ aufnehmen. Ernst Schrader als das frühe Vorbild eines engagierten Gewerkschafters hat es mehr als verdient, wieder in Erinnerung gebracht zu werden.
Fazit:
Bei mir bleibt das Buch als Nachschlagewerk im Regal. Ich werde auch noch einige Exemplare kaufen, um es als Gastgeschenk weiterzugeben. Wünschen würde ich mir, dass junge Kolleginnen und Kollegen sich in das Buch vertiefen. Wir haben als Polizei und als Gesellschaft den engagierten Gewerkschaftern der Weimarer Republik wie auch dann der GdP in der Nachkriegszeit so unsagbar viel zu verdanken. Die Polizei in Deutschland steht aus meiner Sicht aufgrund ihrer Vorarbeit als demokratisch/menschlich führende Polizeiorganisation im Spitzenfeld der Polizeien dieser Welt.
Ich bedanke mich bei dem Autor für das Buch, welches ein Standardwerk für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sein wird.
Zum Buch / Veröffentlichungen des Autors auf der Verlagsseite:
https://www.polizeiwissenschaft.de/suche?query=reuter
Über den Autor:
Über ergänzende Hinweise / Korrekturen / Kritik als persönliche Mitteilung oder unter Kommentare würde ich mich freuen.
Ralf Hermes, 12.07.2020
Ein Gedanke zu „„70 Jahre Gewerkschaft der Polizei“, Autor: Manfred Reuter. Eine Buchvorstellung /-bewertung.“