Quellentext: „Der große Patriot“ – 12.10.1923

Berlin, Der wahre Jacob, Ausgabe „Weltordnung“

„Dem Volke winkt ein frühes Grab – Gottlob, dem Schieber geht nichts ab -Die Masse leidet Hoffnungslos – Was tu´ts? Dem Wuch´rer geht´s famos!“

Bild/Textquelle: https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/wj1923/0169

Der große Patriot

„Könnte man nicht auch einmal für das verlorene Vaterland ein Kalb schlachten?“ Stresemann in Stuttgart

Der große Patriot schloß seine Rede am Kriegerdenkmal: „Vergessen wir nie, deutsche Brüder, daß nur Einigkeit und Opfermut unser Vaterland retten können. Seien wir Bereit! Bereit zu jeder Stunde, Gut und Blut zu opfern für unser geliebtes Deutschland. Es lebe hoch, hoch, hoch!“

Und weil es ein frommer Landmann war, der diese Rede gehalten, zog er an der Sitze des Kriegervereins in die Kirche des Dorfes, und sie beteten gemeinsam für das Vaterland. Danach besteig der Redner seinen Jagdwagen und kutschierte zurück auf sein Gut; denn er war hungrig geworden, und man soll ein gebratenes Spanferkel nicht warten lassen, weil es sonst an Knusprigkeit einbüßt.

Er wischte sich gerade den Mund mit der Serviette, als der Steuererheber eintrat und den Zehenten forderte für das Land.

„Warum störst du mich?“ fragte vorwurfsvoll der Agrarier. „Eben wollte ich mein Tischgebet halten.“

„Lieber, das Reich hungert, und tiefe Runen der Sorge durchfurchen es. Opfere seiner Not und schlachte ihm ein Kalb.“

„Wie? Di forderst ein Kalb von mir?“ „So dein Sohn zurückkehrt aus der Fremde, besinnst du dich keinen Augenblick und öffnest den Stall, den Heimgekehrten mit einem saftigen Braten zu empfangen. So deine Tochter Hochzeitmacht, lieferst du mit Freuden das fetteste deiner Kälber ans Messer. Nun aber steht das arme, hungernde Vaterland an deiner Tür und bittet: geb von deinen zehn Kälbern eins.“

„Bin ich blutsverwandt mit dem Reich wie mit Sohn und Tochter?“

„Das Reich ist die Mutter, der du alles verdankst. Zu treuen Händen überließ sie dir Land, daß du es verwaltest für das Volk“

„Stimmt nicht, meine Ahnen saßen seit den Kreuzzügen auf unserer Klitsche, und was wir sind, sind wir durch uns selbst! Immerhin: das Vaterland über alles! Selbstverständlich. Aber muß es gerade ein Kalb sein?“

Da lächelte der Steuererheber und sagte: „Nein. Ich nehme auch eine Kuh, wenn es dir lieber ist.“

„Unversch –!“ Der erzürnte Landmann stand auf und seine Augen blitzten. „Wärest du nicht der Abgesandte des Landes, ich wiese dir die Tür. So aber sage ich dir nur: ich bin arm und habe kaum satt. Will mir das Reich das Letzte nehmen?“

„Ich hörte deine Rede vorhin. Gut und Blut wolltest du opfern.“

„Gut und Blut. Aber kein Kalb. Wenn ich dir von zehn eins gebe, hab ich nur noch neun.“

„Das ist richtig. Indessen wird sich deine Zucht gar bald wieder vermehren.“

„Ja. Aus dem Kalbe wird ein großes Rind. Ahnst du, was jetzt eine Milchkuh kostet! Sol ich den Wohlstand meiner Zukunft verschenken?“

Und der große Pat5riot ging mit langen Schritten im Zimmer umher, trank einen Kognak und sagte ein wenig milder: Ich werde dir einen Hammel geben.“ Er drückte auf einen Knop und befahl de Schäfer her. Der sagte, daß morgen die große Schur beginnen solle.

„Das ist etwas anderes. Die Wolle brauche ich selbst. Du mußt dich mit einem Lamm begnügen. Das heißt“ – er besann sich – aus einem Lamm wird einst ein Schaf, das wieder Wolle trägt. Die Wolle aber kann ich dir nicht geben.“

„So gib ein Schwein. Das trägt nicht Wolle.“

„Unmöglich. Ein Pfund Schinken allein geht schon in die Millionen. Und man muß ja such etwas im Rauche haben. Nein. Aber wenn du ein Ferkel nehmen willst – „

„Gewiß. Ich darf nichts ausschlagen.“

„Nichts? So höre: die Ferkel saugen noch an der Mutter, und es wäre lieblos, sie zu trennen. Ich will dir einen feisten Hahn auswählen, mit dem du zufrieden sein sollst.“

Und er begab sich sofort in den Hühnerstall und kehrte nach kurzer Zeit zurück: „Mit den Hahn, das wurde nichts. Die Hühner waren dageben. Und ich konnte es nicht über mich gewinnen, ihr Familienleben zu zerstören. Aber ein Ei habe ich dir mitgebracht. Hier ist es.“

Da nahm der Steuererheber das Ei, neigte das Haupt und ging wortlos aus der Tür. Und als das Vaterland das Ei des großen Patrioten in die Pfanne schlug, da stank es zum Himmel.

Denn er hatte ein faules Ei geopfert. (???)


Abschiedsgruß an unsere Leser!

Dies ist des „Jacobs“ letzte Nummer! Er starb an keinem Staatsanwalt; Es macht´ kein Paragraph ihn kalt – Er legte sich zum Winterschlummer, Bedrängt vom Wucherergebot, Erdrossel von der Zeiten Not.

Er hat euch 40 lange Jahre / Mit manchem frohen Peitschenschlag / ERhellt den dunklen Arbeitstage – Nun liegt er selbst auf der Bahre: Er legt sein letztes buntes Ei… Dann kommt der Zeitungstod herbei…

Mit letztm Drohen, letztem Lachen / Bleibt er auf seinem letzten Pfad / Noch euer froher Kamerad – Was gilts? er wird auch mal erwachen / Und meldt sich mit frischen Ton: Auf Wiederseh´n!!! Die Redaktion.

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