Vorwärts Zeitungsmeldungen zum Todesfall des Reichsbannermann Erich Schulz, Berlin, 26.04.1925

Zeitungsberichte des Vorwärts

  • Sonntag, den 26. April 1925: Ein Wikingmord in Berlin. Ein Killingermann schießt auf Reichsbanner.
  • Mittwoch, den 8.Juli 1925: Der Hakenkreuzler als Mörder. Seltsame Prozeßführung.
  • Freitag, den 10.07.1925: Freispruch im Prozeß Rehnig. Notwehr! Keine Überschreitung der Notwehr!

Sonntag, den 26. April 1925: Ein Wikingmord in Berlin. Ein Killingermann schießt auf Reichsbanner.

Über die Hakenkreuzmordtat in der Innsbrucker Straße verbreitet das Polizeipräsidium folgenden Bericht:

Am 25. April um 1,05 Uhr nachmittags durchfuhr ein Propagandamöbelwagen des Reichsbanners die Insbrucker Straße und wurde von etwa 15 Reichsbannerleuten begleitet. An der Basischen Straße standen der Landwirt Rehnig, Innsbrucker Straße wohnhaft, der Schüler Benoit und der Schüler Pfundt. Sie gerieten mit den Reichsbannerleuten in Streit, in dessen Verlauf dem Rehnig ein schwarz-weiß-rotes Fähnchen entrissen wurde. Als ihn angeblich die Reichsbannerleute bedrohten, zog er seinen Revolver, schoß in die Luft und daraufhin in die Reichsbannerleute und tötet in angeblicher Notwehr den Lagerverwalter Erich Schulz. Es soll noch eine weitere Person verletzt worden sein, doch konnte diese bisher nicht ermittelt werden. Die Leiche des Schulz wurde von der Polizei beschlagnahmt und dem Leichenschauhaus zugeführt. Rehnig ist festgenommen und der Abteilung 1a des Berliner Polizeipräsidiums zugeführt worden. Die weiteren Ermittlungen sind noch im Gange.

Er Bericht ist sehr zurückhaltend und stützt sich zum großen Teil offensichtlich auf die Aussagen des Mörders. Demgegenüber muß festgestellt werden, daß der Zwischenfall von den Hakentreuzlern provoziert wurde und daß von einer Notwehr schon deshalb nicht die Rede sein kann, weil die Reichsbannermitlgieder unbewaffnet waren, während der nationalistische Mörder Schußwaffen bei sich trug.

Festgestellt werden muß ferne, daß der Mörder Rehnig in dem denkbar übelsten Ruf steht. Wie gemeldet wird, haben sich auf dem Polizeirevier bereits mehrere Personen gemeldet, um auszusagen, daß sie von dem Hakenkreuzler wiederholt mit dem Revolver bedroht wurden. Das Bild rundet sich , wenn man erfährt, daß der Mordbube Mitglied des Wikingbundes und sein Vater Mitglied der Deutschnationalen Partei ist. Der Wikingbund ist als Brutstätte der Meuchelmörder bekannt. Er stand in den intimsten Beziehungen zu jenen Mörderorganisationen, denen die politischen Attentate der letzten Jahre zuzuschreiben sind. Der Freund der Erzberger-Mörder, Killinger, ist heute Vorsitzender des Wikingbundes! Diese Tatsachen sprechen für sich. Das Reichsbannermitglied Schulz ist ein Opfer jenes nationalistischen Hakenkreuzlertums geworden, das seine Hauptaufgabe in der Erziehung zur Brutalität, zur Gewalttätigkeit und zum Morde sucht. Die Mordtat in der Innsbrucker Straße ist die Folge jener Hetze, die in den Hindenburg-Versammlungen der letzten Tage von den nationalistisichen Führern des Reichsblocks betrieben wurde. Sie ist eine Folge jener „hundsgemeinen“ Methoden, zu denen die Führer des Reichsblocks aufgefordert haben. Dem Reichsblock und den Souffieruren Hindenburgs wird es nicht gelingen, den Mordbuben von sich abzuschütteln. Der Wikingbund und seine Führer Killinger haben die Wahl Hindenburgs offen begrüßt. Killinger und sein Bund sind von den Machern der Hindenburg-Kandidatur als Wahlhelfer angenommen worden. Der Mörder Rehnig ist einer der Wahlhelfer Hindenburgs. Seine Gesinnung ist keine Zufallserscheinung. Sie ist ein Teil jenes Geists, der von den Wikingern und anderen offiziösen Wahlhelfern Hindenburgs bewußt großgezüchtet wird. Es ist der Geist des Bürgerkriegs!

Über die Bluttag erfahren wir folgende Einzelheiten: Die schamlose Mordhetze des Rechtsblocks hat ihre ersten blutigen Opfer gefordert. Zu einer empörenden Bluttat völkischer Elemente kam es gestern nachmittag um 2 Uhr am Bayrischen Platz. Drei Propagandamöbelwagen des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“, die durch den Westen fuhren, wurden am Bayerischen Platz von einer Gruppe uniformierter Nationalisten aufs unstätigste beschimpft. Nicht nur das. Die nationalistischen Rowdies versperrten den Fahrdamm und hinderten die Propagandawagen des Volksblocks am Weiterfahren. Als ein Reichsbannermann gegen die schamlosen Flegeleien der Hakenkreuzler protestierte und die offensichlich Händel suchenden monarchistischen Krakeeler aufforderte, den Weg freizugeben, zog einer dieser Burschen, der 20 Jährige Alfred Rehnig, Insbrucker Straße 7, Sohn eines Architekten, einen Revolver und schoß wie besessen au die Reichsbannerleute ein.

Das 27jährige Reichsbannermitglied Erich Schulz von der Kameradschaft Kreuzberg, Trebbiner Straße 10 wohnhaft, wurde von zwei Lungenschüssen tödlich getroffen. Des Publikums batte sich ob dieer feigen Attentate eine ungeheure Empörung bemächtigt. Nur dem Eingreifen der Polizei ist es zu verdanken, daß der monarchistische Mordbube nicht von der wütenden Menge gelyncht wurde.

Wie uns von mehreren Anwohnern des Bayerischen Platzes berichtet wird, spielte der völkische Mörder Rehnig in der ganzen Gegend eine überaus berüchtigte Rolle. Bei der geringsten Kleinigkeit soll der Lümmel den Revolver gezogen und seine Widersacher mit Erschießen bedroht haben. Schuld an der Verwahrlosung des Bursch trägt neben der irrsinnigen Hetze der skrupellosen nationalistischen Giftmischer, die auf unreife, verrohte Individuen nach Art des Mörders Rehnig wie Gift wirken muß, das Elternhaus. Noch in den Nachmittagsstunden war der Bayerische Platz von großen Menschenmengen umsäumt, die ihrer elementaren Empörung über die Untat Ausdruck gaben. Mit Blut wollen die Rechtsblöcler die Kandidatur ihres Generalfeldmarschalls durchsetzen. Diese neuerliche Schandtat der faschistischen Mordbugen wird allen Republikanern endlich die Augen öffnen und wird ihnen zeigen, welches Regiment schamlosestern Terrors droht, wenn die Kandidatur des Monarchisten und Republikfeindes siegen sollte. Eines hat die grauenhafte Tat am Bayerischen Platz mit aller Deutlichkeit gezeigt: Mit der Nachsicht diesen Mordelementen gegenüber muß jetzt Schluß gemacht werden. Es ist völlig unerträglich, daß nationalistisches Banditengesindel, bis an die Zähne bewaffnet, täglich Republikaner mit Dolch und Revolver anfällt. Allzu lange haben die Behörden langmütig zugesehen. Jetzt gilt es, hart zu erden.

Wir fordern allerstrengste und gründlichste Untersuchung des Republikanermordes am Bayerischen Platz. Sowohl gegen die materiellen wie ideellen Urheber des Blutbades muß unerbittlich und mit der ganzen Strenge des Gesetzes vorgegangen werden. Der Mord in der Insbrucker Straße zeigt deutlich, wohin der Weg gehen würde, wenn Hindenburg siegt, zur Katastrophe.


Vorwärts vom Mittwoch, den  8.7.1925:

Der Hakenkreuzler als Mörder. Seltsame Prozeßführung.

Der heimtückische Überfall des Wiking-Helden Alfred Rehnig auf den Reichsbannermann Schulz, den man mit aller Gewalt als einen  „Akt der Notwehr“ auslaufen lassen will, stellt sich auch im Verlauf der heutigen Zeugenvernehmung immer mehr als eine durch nichts begründete Mordtat heraus, die zielbewußt und brutal ausgeführt wurde. Über die seltsame Art der Prozeßführung durch den Vorsitzenden, die in weitesten Kreisen größtes Befremden erregt, wird im Morgenblatt vom Freitag noch manches Notwendige zu sagen sein. Man ist manchmal verblüfft über die Art der Fragestellung des Vorsitzenden, und ein unvorhergesehen Hereingeschneiter könnte in als einen besonders geschickten Verteidiger des Angeklagten ansehen. . Die beiden Rechtsanwälte des Angeklagten versuchen mit aller Energie darzutun, daß sich Rehnig bei seinen Mordschüssen in der Notwehr befunden habe. Von allen Seiten hat man Zeugen herbeigeholt, die aber nur dürftiges und unklares Material geben können. So wird von einigen Entlastungszeugen versucht, es so dazustellen, als ob der Propagandaumzug der Reichsbannerwagen als eine unerhörte Provokation auf die Nationalisten gewertet werde. Rechtsanwalt Nowack bekundet, daß man ihm Drohworte nachgerufen habe, als er mit seinem schwarzweißrot tapezierten Auto an dem Propagandazug vorbeigefahren sei. Von dem Verteidiger aufgefordert, unter den Zeugen den Mann anzugeben, der ihm beschimpft habe, kann er keine Auskunft geben. Selbst ein Zahnarzt wurde herbeigeführt, um auszusagen, wie liebenswürdig und still der als Rowdy verschriene Angeklagte sich bei der Zahnbehandlung benommen habe. Von einem Entlastungszeugen, dem völkischen Studenten Lange, wird dem Reichsbannermann Hartner in den Mund gelegt, bei einer privaten Unterhaltung gesagt zu haben, das Reichsbanner hätte während der Wahlzeit den Befehl gehabt, sämtliche Propagandawagen gegnerischer Organisationen umzuwerfen. Als Hartner fragte, wo denn das von ihm behauptet worden sei, fährt ihn der Vorsitzende an: „Na irgendwo.“ Jedenfalls zieht sich der Belastungsring immer enger um den Mörder zusammen. Ob die Verhandlungen heute zu Ende geführt werden, ist sehr fraglich. Es wird mit einem dritten Verhandlungstage gerechnet.

„Vorwärts“ schreibt in seiner Morgenausgabe Freitag, den 10.07.1925: Freispruch im Prozeß Rehnig. Notwehr! Keine Überschreitung der Notwehr!

Im Prozeß gegen den Wiking-Mann Rehnig, der am Tage vor der Präsidentenwahl den Reichsbannermann Schulz am helllichten Tag auf offener Straße niederschoß, ist gestern das Urteil gefällt worden. Es lautet auf Freispruch.

Das Urteil ist eine Provokation des gesunden Rechtsempfindens und muß umso provozierender wirken, als selbst der Staatsanwalt, der sich im Verlauf des Prozesses wahrhaftig nicht übermäßig engagiert hat, auf Ueberschreitung der Notwehr plädierte und 1 Jahr Gefängnis wegen Körperverletzung mit Todeserfolg beantragte. Zwischen diesem Antrag und dem Freispruch gähnt eine Kluft, die sich nicht überbrücken läßt.

Übersieht man das Urteil in seinen Einzelheiten, so hat man das Empfinden, daß bei der Beratung nicht mit der nötigen Sorgfalt die einzelnen Aussagen gegeneinander abgewogen wurden und daß man von vornherein entschlossen war, von dem Grundsatze „im Zweifelsfällen für den Angeklagten“ in weitestem Maße Gebrauch zu machen. In dem Urteil heißt es:

Der Angeklagte Rehnig wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen. Vorweg müße das Gericht besonders betonen, daß der Angeklagte sich bei der Tat und nach dem Ergebnis der Verhandlung nicht als ein Mann erwiesen hat, der die Sympathien des Gerichts genieße. Es ist ein starkes Stück, wenn ein junger Mann am hellen Tage sowie Tag für Tag mit dem Revolver und dem Gummiknüppel bewaffnet in einer friedlichen Stadt herumläuft. Ein solcher Mensch bildet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, und es würde Sache der Behörden sein, dem Angeklagten den Waffenschein zu entziehen. Das Gericht darf sich aber nicht von seinen Gefühlen leiten lassen, sondern von dem Gesetzesparagraphen. Der Angeklagte befand sich auf der Flucht gegenüber einer großen Menschenmenge, als er den tödliche Schuß abgab. In solcher Situation war der Gebrauch einer Schußwaffe keine Ueberschreitung der Notwehr, denn er war mit Stöcken beworfen worden und es sind mindestens auch Schläge gegen ihn geführt worden.

Die Absicht der Reichsbannerleute, ihn festzunehmen , war keine rechtmäßige. Es kam ihnen bei der Verfolgung auch darauf an, den Angeklagten zu schlagen. Sobald solche Tendenzen in die Verhandlung hineingetragen werden, ist sie eine rechtswidrige. Als der Angeklagte die Pistole zog, war er bedroht.  Die Reichsbannerleute hatten kein Recht, selbst wenn sie sich beschimpft gefühlt haben sollten, gegen ihn mit Stöcken vorzugehen. Er befand sich in Notwehr, und mit der Verteidigung ist das Gericht der Ansicht, daß ein Gummiknüppel zur Verteidigung nicht ausgereicht hätte. Daher waren die Grenzen der Notwehr nicht überschritten, obwohl ansich der Angeklagte eine Gefahr für die Bevölkerung bildete, mußte er freigesprochen werden, weil ihm die Gesetzesbestimmungen zu Seite stehen.

Es ist geradezu ungeheuerlich, wie in dem Urteil die geschwungenen Stöcke in den Mittelpunkt gestellt werden, um für den Angeklagten einen Grund zu berechtigter Notwehr zu konstruieren. Aus dem Verhandlungsverlauf ist keineswegs klar hervorgegangen, daß gegen den Angeklagten überhaupt tätlich vorgegangen wurde. Die Berechtigung der Notwehr muß deshalb stark in Zweifel gezogen, dieF rage nach einer Ueberschreitung der Notwehr unbedingt bejahrt werden. Wes sollte werden, wenn jedermann, gegen den ein Stock erhoben wird, daraus das Recht herleiten wollte, mit dem Schießprügel loszuknallen? Was würde einem Arbeiter geschehen, der sich im Verlauf einer Auseinandersetzung so benehmen würde wie der Wikinger? Wir möchten den Richter sehen, der einem Freispruch wagte! Ein Blick auf die tausend Tragödien des Alltags, in den täglichen Gerichtssaal der Zeitungen genügt, um zu erkennen, um wieviel strenger das Urteil ausfällt, wenn es sich um Akte gleicher Art handelt, in deren Hintergrund nicht der Krakehl Schwarz-Weiß-Rot gegen Reichsbanner steht. Ganz zu schweigen von dem Eifer der Strafrichter, wenn Republikaner vor den Schranken des Gerichts stehen!

Meldung als PDF:

Zusammenstellung: Ralf Hermes, 26.04.2020

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