Berliner Tageblatt Zeitungsmeldung zum Todesfall des Reichsbannermann Erich Schulz, Berlin, 26.04.1925

Das „Recht auf die Pistole“.  Der Tod des Reichsbannerkameraden. – Freispruch für den Angeklagten.

Obwohl für den Rehnig-Prozeß drei Verhandlungstage vorgesehen waren, konnte die Beweisaufnahme schon am Mittag des zweiten Tages abgeschlossen und das Urteil verkündet werden. Der Staatsanwalt beantragte gegen Rehnig ein Jahr Gefängnis. Er begründete seinen Antrag damit, daß der Angeklagte sich tatsächlich in Notwehr befunden habe, also an sich nicht zu bestrafen sei. Verwerflich und strafbar sei nur die Wahl des Verteidigungsmittels. Auf keinen Fall hätte Rehnig zum Revolver greifen dürfen. Die beiden Verteidiger Rehnigs plädierten auf Freispruch. Zu ihren Plädoyers verteidigte sie das Recht auf die Pistole, weil sich Rehnig in unmittelbarer Lebensgefahr befunden habe. Der eine Verteidiger ging sogar so weit die „Reichsbannerleute als die wahren Mörder“ ihres Kameraden Schulz zu bezeichnen, ohne daß ihn der Vorsitzende wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung rief. Das Gericht sprach Rehnig nach dreiviertelstündiger Beratung frei. In der Urteilsbegründung folgte es den Ausführungen der Verteidiger. Trotzdem bemerkte der Richter, daß der gewalttätige und schießlustige Rehnig eine Gefahr für das Leben seiner Mitmenschen sei. Rehnig selbst nahm das Urteil mit derselben zynischen Gelassenheit hin, mit der er der Verhandlung gefolgt war.

Den Ausspruch des Gerichts, daß „Der Angeklagte eine Gefahr für das Leben seiner Mitmenschen“ ist, wird jedermann unterschreiben. Aber glaubt etwa das Gericht, dieser Gefahr dadurch entgegenzutreten, daß es den Pistolenhelden freispricht! Die Beweisaufnahme hat nichts dafür ergeben, daß der Angeklagte zur Abwehr eines rechtswidrigen Angriffes von der Pistole Gebrauch machen mußte, und das Urteil ist daher völlig unverständlich. Wir hoffen, daß die höhere Instanz diesen unbegreiflichen Fehlspruch revidieren wird.

Von der merkwürdigen Gerichtsverhandlung werden uns noch folgende Einzelheiten mitgeteilt:

Die Freisprechung des Angeklagten Rehnig gründet sich darauf, daß ihm das Gericht unterstellte, er habe sich in Notwehr befunden. Die Lebensgefahr sei unmittelbar gewesen und darum habe er von der Waffe Gebrauch machen müssen.  Bei dieser Begründung ist nicht berücksichtigt die Aussage des zeugen Dr. Sultan, der sich zusammen mit den Reichsbannerleuten (aber politisch unbeteiligt( an die Verfolgung des Rehnig gemacht hatte und das Bestreben  hatte, diesem den Revolver zu entreißen. Er hatte den Eindruck, daß Lebensgefahr für Rehnig nicht vorhanden war. Ferner ist nicht berücksichtigt die Tatsache, daß nicht erwiesen ist, ob Rehnig überhaupt geschlagen wurde. Die Urteilsbegründung leitet die „Lebensgefahr“ für Rehnig aus den empörten Rufen der Menge her: „Schlagt ihn tot“. Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, daß diese Rufe vor der Tötung, in Gegenteil, es ist wahrscheinlich, da sie erst nach der Tötung des Reichsbannermannes Schulz ausgestoßen wurden. In demselben Maße wie der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Dust eine Lebensgefahr für Rehnig bejahte, verneinte er sie für die Reichsbannerleute.  Charakteristisch ist sein Ausspruch: „Wenn er in die Luft schießt, tut er Ihnen doch nichts“ Warum laufen Sie ihm denn nach? Ist denn das eine strafbare Handlung? (Allerdings, denn das Schießen auf der Straße ist strafbar und berechtigt jeden Staatsbürger zur Verhaftung des Schützen.) Die Verteidigung versuchte in der „Beweisaufnahme“ den Nachweis zu führen, daß schon wochenlang (vor der Tat) das Reichsbanner in provokatorischer Hinsicht die Gegend um den Bayerischen Platz besucht habe. Der Zeuge Haffner (der dem Reichsbanner nahesteht) soll zu Rehnig geäußert haben: „Wir haben 300 Lastautos. Die sind beauftragt, alle Hakenkreuzlerwagen umzukippen.“ Haffner erklärt unter seinem Eide, daß er niemals eine solche Aeußerung getan habe. In der Mittagspause fragte Haffner den achtzehnjährigen Landwirt Lange in Zeugengegenwart, ob er Haffner, zu ihm oder Rehnig jemals eine solche renommistische Aeußerung getan habe. Lange verneinte dies. (Zeugengegenwart!) Im Gerichtssaal behauptete Lange unter seinem Eid, das Gegenteil. Als Haffner von dem Vorfall in der Mittagspause sprach, ließ die Verteidigung auffallend schnell dieses „Entlastungsmoment“ fallen.

Zusammenstellung: Ralf Hermes, 29.04.2020

#reichsbannermannschulz

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