Berliner Börsenzeitung Zeitungsmeldungen zum Todesfall des Reichsbannermann Erich Schulz, Berlin, 26.04.1925

Zeitungsberichte der Berliner Börsenzeitung

Vom:

  • Berliner Börsenzeitung vom 8.7.1925: Der Tod des Reichsbannermitgliedes Erich Schulz.
  • Berliner Börsen-Zeitung vom 9.7.1925: Die Erschießung des Reichsbannermitgliedes Erich Schulz
  • Berliner Börsenzeitung vom 10.07.1920: Der Angeklagte Rehnig freigesprochen.

Die Berliner Börsenzeitung vom 8.7.1925:

Der Tod des Reichsbannermitgliedes Erich Schulz.

Die Aussagen des Angeklagten Rehnig: In Notwehr erschossen“. Die Schießaffäre am Tage vor der letzten Reichs- Präsidentenwahl, die am Bayerische» Platz dem Lagerverwalter Erich Schulz das Leben kostete, gelangte heute vor dem Schwurgericht des Landgericht II zur gerichtlichen Aburteilung. Unter der Anklage der Körperverletzung mit Todeerfolg hatte sich der 22 Jahre alte Landwirt Alfred Rehnig zu verantworten. Um die 25. April kam ein P r o p a g a n d a z u g des Reichsbanners durch die Innsbrucker Straße in Richtung zum Bayerischen Platz. In einer Gruppe stand der Angeklagte mit einem Freunde, die beide Mitglieder des Wicking-Bundes waren und dessen Abzeichen trugen, und drei Schülern und sahen sich den Zug an. Der Reichbanneraufzug bestand aus drei Möbelwagen mit Wahlplakaten und war von 15 Mann begleitet. Der Angeklagte hatte an seinem Rade ein schwarz- weiß-rotes Fähnchen. Nach der Anklage soll Rehnig dem vorbeigehenden Zuge „Barmat, Mostrich“ und ähnliche Worte zugerufen haben. Ein Teil der Begleiter des letzten Wagens, unter denen sich auch der später getötete Schulz befand, kehrte um und stellte den Angeklagten zur Rede. Es kam zu einem Wortwechsel und zu Bedrohungen. Der Angeklagte zog einen Revolver aus der Tasche und droht. Er hat mehrere Schüsse in die Luft abgegeben und floh darauf. Die Reichsbannerleute setzten ihm nach, um ihm die Waffe zu entreißen und da hatte er sich umgekehrt und Scharfschüsse abgegeben.

Dabei ist die Kugel dem ihm zunächst stehenden Schulz in die Lungenflügel gedrungen. Der Tod ist durch Verbluten fast auf der Stelle eingetreten. Der Angeklagte Alfred Rehnig erklärte zu der Anklage, daß er sich nicht schuldig fühle. Ueber die Vorgänge gibt er an, daß er mit seinen Bekannten, den drei Schülern und seinem Freunde vom Wicking-Bund, an der Straße stand. Von den Leuten in dem letzten Reichsbannerwagen habe ein jüdisch aussehender Mann gerufen: „Reißt doch den Fetzen herunter“, womit sein schwarz-weiß-rotes Fähnchen an seinem Fahrrade gemeint war. „Damit trennten sich 6—8 Mann von dem Zuge, bedrohten mich mit Stöcken und Gummiknüppeln. Ich sagte, sie sollten mich in Ruhe lassen, ich hätte nichts getan. Das Fähnchen hatte ich abgenommen und hielt es hinter dem Rücken. Ein Reichsbannermann umschlich mich und riß es mir fort. Er zerriß das Fähnchen und trat es lachend mit Füßen. Darauf sagte ich: „Das ist keine Heldentat.“ Der Angeklagte gibt nun nachfolgende Schilderung der weiteren Vorgänge. Die Reichsbannerleute seien mit Stöcken auf ihn losgegangen. Er sei zurückgesprungen, habe die Pistole aus der Tasche gezogen und sie aufgefordert, zurückzugehen oder er würde schießen. Sie hoben die Stöcke und ein Mann mit einem schwarzen Bart lachte und sagte: „Schieß doch.“ Da habe er einen Schreckschuß abgegeben und sei geflohen. Die anderen seien ihm nachgelaufen. Er habe an einem Zaun Rückendeckung gesucht. Im Halbkreis hatten die Reichsbannerleute ihn umzingelt und gerufen: „Schießt Du, dann schlagen wir Dich zu Brei.“ — Als die Haltung immer drohender wurde, habe er einen zweite Schuß in die Luft abgegeben und den Ring durchbrochen. Er sei zum Bayrischen Platz gelaufen und wurde verfolgt. Mit Stöcken habe man ihm nach dem Rücken geworfen. Frage, wie er zu der Pistole gekommen sei, erklärt der Angeklagte, er habe vor eignem Jahre einen Waffenschein bekommen, weil er den Lagerplatz seines Bruders kontrollieren mußte und auch wiederholt angefallen worden sei. Er sei auch von Reichsbannerleuten und Kommunisten zum wiederholten Male überfallen worden. Im November 1923 hatten ihn Kommunisten niedergeschlagen. Auf Befragen de» Vorsitzenden, weshalb die Leute gerade ihn auf dem Kieker hätten, antwortet der Angeklagte: «Wegen meiner nationalen Gesinnung.“ Vors.: Sie sollen am Bäuerischen Platz als Führer der rechtsradikalen Jugend betrachtet worden sein?“ Angekl.‘: „Das kam wohl daher, weil ich größer und älter war, denn die meisten waren 15 Jahre alt.“ Auf weiteres Befragen gibt der Angeklagte zu, daß er bei der letzten Reichstagswahl einen Zusammenstoß mit Leuten von der Linken hatte, weil er ein Wahlplakat abgerissen hatte. Man habe ihm damals gedroht, man würde ihn schon wieder einmal fassen.

Berliner Börsen-Zeitung vom 9.7.1925:

Die Erschießung des Reichsbannermitgliedes Erich Schulz.

Die Beweisaufnahme in dem Prozeß gegen den Landwirt Alfred Rehnig, der das Reichsbannermitglied Erich Schulz bei der Propaganda zur Reichspräsidentenwahl erschossen hat, ergab in dem weiteren Verlauf der gestrigen Sitzung (s. Abendblatt) starke Widersprüche sowohl zwischen den Aussagen der Reichsbannerleute untereinander, als auch zwischen den Zeugen und der Gruppe, die sich um den Angeklagten Rehnig gebildet hatte. Als erster Zeuge wurde der Kaufmann Sonnenfeldt vernommen, der dem Reichsbanner angehörte, sich aber zufällig unterwegs dem Demonstrationszuge angeschlossen hatte. Als sie an der Innsbrucker Straße vorbeikamen. sei aus der Gruppe etwas gerufen worden. Ein Reichsbannermann hatte gesagt: „Reißt ihm die Fahne weg.“ Es soll der Führer des Reichsbanners Kubera, gewesen sein. Der Zeuge hat bei seiner ersten Vernehmung ausgesagt, daß im Laufe des Wortgefechtes Rehnig den Revolver gezogen babe, daß aber Kubera, ehe der erste Schreckschuß fiel, schon seinen Stock gegen ihn erhoben hatte. Weiter führte der Zeuge aus: Nach dem ersten Schreckschuß wurde versucht, Rehnig die Waffe zu entreißen. Bei der Verfolgung wurden Stöcke nach ihm geworfen, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Er hatte sich den Rücken an einem Zaun gedeckt und gab von da zwei bis drei Schüsse auf uns ab. Vors.: Hören Sie mal, wollen Sie das unter Eid vertreten? — Zeuge: Nein. Gezielt hat er nicht.“ Es wurde dann der 46jährige Arbeiter Joseph Kubera vernommen, der Führer des Zuges war. Die Begleitmannschaft bestand aus 15 Reichsbannerleuten, meist Arbeitslosen im Alter von 18—35 Jahren. Sie dienten zum Schutze der Plakate. In der Innsbrucker Straße stand auf der Promenade eine Gruppe von fünf Männern, aus der „schwarz-rot-mostrich“ zugerufen wurde. Er habe sich das, da er als Leiter im Zuge ging, in ruhigem Ton verbeten. Während er mit Rehnig sprach, sei jemand von hinten gekommen und habe das Fähnchen fortgenommen. Rehnig rief: „Ihr feigen Halunken“ und zog die Pistole hervor. Ich sagte zu ihm. er soll die Waffe wegstecken, sonst würde ich sie ihm aus der Hand schlagen.  Vors.: Sie sollen den Stock erhoben baden? — Zeuge: Nein, er hielt die Pistole vor meine Brust, gab dann einen Schuß in die Luft ab. Darauf gab ein Kamerad ein Signal mit der Trillerpfeife und Rehnig lief zu einem Bretterzaun, wir hinter ibm herum in ihm die Waffe zu entreißen. Wir haben erst nach dem scharfen Schuß mit dem Stock geschlagen oder geworfen. Die nächsten Zeugen, der 22jährige Mechaniker Karl Klein, der Arbeiter Wernicke, der Dachdeckerlehrling Sinbeck, sagen nichts wesentlich neues aus. Nach einer Pause wunden dann die Zeugen aus der Gruppe um den Angeklagten vernommen. Der 18iährge Baugewerksschüler Pfund gehörte mit dem Angeklagten derselben Gruppe des Wicking-Bundes an. Der Zeuge bat bestimmt gesehen, daß schon v o r dem Schuß auf Rehnig geschlagen wurde. Auch der 18jährige Schüler Handt, der l6jährige Schüler Fähnrich und ein vierter Schiiler, Benois, bekundeten, daß Rehnig schwer bedroht worden sei und in Notwehr gehandelt habe. Es wurden weiter noch der Student Lange und der Bankbeamte Dreski vernommen. — Die Verhandlungen wurden auf Donnerstag früh vertagt und es werden noch eine ganze Reihe von Zeugen vernommen.

Berliner Börsenzeitung vom 10.07.1920

Der Angeklagte Rehnig freigesprochen.

Das Reichsbannermitqlied Schulz in Notwehr erschossen. B.G. Auch am gestrigen Tage wurde wiederum eine große Zahl von Zeugen vernommen, die über die Vorgänge befragt wurden. Auch diese Zeugen weichen in sehr vielen Punkten in ihren Beobachtungen ab. Nach Schluß der Beweisaufnahme hob Staatsanwaltschaftsrat Herder hervor, das sich in den Zeugenaussagen Widersprüche ergeben haben. Wenn man den Schlußakt des Dramas für sich betrachtet, dann würde e i n klarer Fall der Notwehr vorliegen. Der Angeklagte flüchtete und wurde von einer grossen Menge verfolgt, als er schoß. Man könne aber den Schlußakt nicht losgelöst von den anderen Vorfällen betrachten. Der Angeklagte sei schwer bewaffnet mit Revolvern. Gummitotschläger und Reservepatronenstreifen gewesen. ES wäre nichts schlimmes entstanden, wenn er die Waffe nicht gehabt hätte, höchstens wäre es zu einer kleinen Prügelei gekommen. Dem Angriff konnte der Angeklagte aus dem Wege gehen, indem er floh oder seinen Gummiknüppel hervorzog.

Es lag zweifellos ein rechtswidriger Angriff der Reichsbannerleute vor, aber das Mittel, das der Angeklagte anwendete, war eine Ueberschreitung der Notwehr. Zwar müßten ihm mildernde Umstände zugebilligt werden, aber die Strafe müßte eine empfindliche sein, denn durch den leidigen Mißbrauch der Schußwaffe ist das Unglück hervorgerufen worden. Es war die Schuld des Angeklagten, das er sich mit der Waffe herumtrug, sonst wäre es bei einem kleinen Zwischenfall geblieben. Der Staatsanwalt beantragte 1 Jahr Gefängnis wegen Körperverletzung mit Todeserfolg. Die Rechtsanwälte Kodlin und Dr. Herold waren der Meinung, daß der Angeklagte sich von vornherein in Notwehr befunden hatte. Nach längerer Beratung verkündete namens des Schwurgerichts Landgerichtsdirektor Dust folgendes Urteil:

Der Angeklagte Rehnig wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.

Vorweg müsse das Gericht besonders betonen, daß der Angeklagte sich bei der Tat und nach dem Ergebnis der Verhandlung nicht als ein Mann erwiesen hat, der die Sympathien des Gerichts genieße. Es ist ein starkes Stück, wenn ein junger Mann am Hellen Tage sowie Tag für Tag mit dem Revolver und dem Gummiknüppel bewaffnet in einer friedlichen Stadt herumläuft. Ein solcher Mensch bildet eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und es würde Sache der Behörden sein, dem Angeklagten den Waffenschein zu entziehen. Das Gericht darf sich aber nicht von seinen Gefühlen leiten lassen, sondern von dem Gesetzesparagraphen. Der Angeklagte befand sich aus der Flucht gegenüber einer großen Menschenmenge, als er den tödlichen Schuß abgab. In solcher Situation war der Gebrauch einer Schußwaffe keine Ueberschreitung der Notwehr, denn er war mit Stöcken beworfen worden und es sind mindestens auch Schläge nach ihm geführt worden. Die Absicht der Reichsbannerleute, ihn fcstzunehmen, war keine rechtmäßige. Es kam ihnen bei der Verfolgung de» Ange. klagten auch darauf an, den Angeklagten zu schlagen. Sobald solche Tendenzen in die Verfolgung hineingetragen werden, ist sie eine rechtswidrige. Als der Angeklagte die Pistole zog, war er bedroht. Die Reichsbannerleute hatten kein Recht, selbst wenn sie sich beschimpft gefühlt haben sollten, gegen ihn mit Stöcken vorzugehen. Er befand sich in Notwehr und mit der Verteidigung ist das Gericht der Ansicht, daß ein Gummiknüppel zur Verteidigung nicht ausgereicht hätte. Daher waren die Grenzen der Notwehr nicht überschritten, obwohl an sich der Angeklagte eine Gefahr für die Bevölkerung bildete, mutzte er freigesprochen werden, weil ihm die Gesetzesbestimmungen über die Notwehr zur Seite stehen. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.

#reichsbannermannschulz

Zusammenstellung: Ralf Hermes, 26.04.2020

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